Die Wahrheit - Anklage und Prozess



13.06.2005 - Michael Jackson in allen Punkten freigesprochen

Popstar verläßt Gericht als freier Mann

   

Santa Maria (dpa) - Die Jury im Missbrauchsprozess gegen den Popstar Michael Jackson hat ein Urteil gefällt. Die zwölf Geschworenen befanden den King of Pop in allen zehn Anklagepunkten für nicht schuldig, im Frühjahr 2003 einen 13-jährigen Jungen sexuell missbraucht und ihm Alkohol gegeben zu haben.

 

Die Geschworenen einigten sich am siebten Beratungstag, nachdem sie über 32 Stunden hinter geschlossenen Türen getagt hatten. Jackson verließ nach diesem Freispruch erster Klasse den Gerichtssaal als freier Mann. Nach einem kurzen Gruß an seine kreischenden Fans verließ er das Gerichtsgelände in einem schwarzen Van Richtung Neverland Ranch


 

Die Wahrheit über den Chandler Fall - 1993

Wurde Michael Jackson reingelegt?

Die nicht erzählte Geschichte von Mary A. Fisher - GQ, Oktober 1994

Vor O. J. Simpson war es Michael Jackson - ein weiterer beliebter schwarzer Star, der durch einen angeblichen Skandal in seinem Privatlebenzur Strecke gebracht wurde. Jene Anschuldigungen, dass Jackson einen 13jährigen Jungen sexuell belästigt haben sollte, waren Anlass für eineMultimillionen Dollar Klage, zwei Untersuchungen durch  eine Grand Jury und einen schamlosen Medienzirkus. Im Gegenzug verklagte Jackson einige seiner Ankläger wegen Erpressung. Schließlich wurde das Verfahren gegen Zahlung einer Summe, die auf 20 Millionen Dollar geschätzt wird, außergerichtlich beigelegt; es wurde weder durch die Polizei noch durch eine Grand Jury Anklage erhoben.

In diesem August [1994] machte Jackson wieder Schlagzeilen, als Lisa Marie Presley, Elvis Tochter, ankündigte, dass sie und der Sänger geheiratet hatten. Nachdem nun der Staub, den einer der schlimmsten Medienexzesse aufgewirbelt hatte, sich legt, ist eines klar: Die amerikanische Öffentlichkeit hat nie eine Verteidigung für Michael Jackson gehört. Bis jetzt.....

Es ist natürlich unmöglich, einen Negativbeweis zu erbringen - das heißt, zu beweisen, dass etwas nicht passierte. Aber es ist möglich, sich die Leute, die die Anschuldigungen gegen Jackson vorbrachten genauer anzusehen, und ihren Charakter sowie ihre Motive genauer unter die Lupe zu nehmen. Was bei einer solchen Untersuchung, basierend auf Gerichts- und Geschäftsakten und sehr vielen Interviews, herauskommt, sind überzeugende Argumente dafür, dass Jackson niemanden belästigt hat, und dass stattdessen er selbst das Opfer eines ausgeklügelten Plans gewesen sein kann, Geld von ihm zu erpressen.

Darüber hinaus ist die Geschichte, die zu Tage tritt, wenn man sich auf dieses unerforschte Gebiet begibt, radikal anders als das, was in der Klatschpresse und sogar von ernstzunehmenden Journalisten vertreten wurde. Es ist eine Geschichte über Gier, Ehrgeiz, über Missverständnisse von Seiten der Polizei und der Anklagevertreter, über faule und sensationshungrige Medien und der Anwendung einer starken, hypnotischen Droge. Es mag auch eine Geschichte darüber sein, wie ein Fall einfach erfunden wurde. Weder Michael noch seine augenblicklichen Anwälte wollten für diesen Artikel Auskunft geben. Hätten sie sich dazu entschlossen, die Zivilklage durchzufechten, hätte die nachfolgende Geschichte, die den Sänger sehr wohl entlastet haben würde, sowohl der Kern von Jackson Verteidigung sein können, als auch die Basis für spätere Erpressungsklagen gegen seine eigenen Beschuldiger.

Jacksons Ärger begann, als sein Van im Mai 1992 auf dem Wilshire Boulevard in Los Angeles liegen blieb. Gestrandet mitten auf der viel befahrenen Straße, wurde Jackson von der Ehefrau von Mel Green entdeckt, der Angestellter bei Rent-a-Wreck war, einer Autovermietung für angeschlagene Wagen, eine Meile entfernt. Green kam ihm zu Hilfe. Als Dave Schwartz, der Besitzer der Autovermietung hörte, dass Green Jackson mitbrachte, rief er seine Frau June an, damit sie mit ihrer 6jährigen Tochter und ihrem Sohn aus erster Ehe herüberkommen solle. Der Junge, damals 12 Jahre alt, war ein großer Jackson Fan. Bei seiner Ankunft erzählte June Chandler Schwartz Jackson, dass ihr Sohn ihm eine Zeichnung zugeschickt hatte, nachdem das Haar des Sängers während der Dreharbeiten zu einem Pepsi-Werbespot Feuer gefangen hatte. Sie gab Jackson dann auch ihre private Telefonnummer.

"Es war fast so, als ob sie ihm [den Jungen] aufzwingen wollte", erinnert sich Green. "Ich glaube, Jackson dachte, er schulde dem Jungen irgendetwas, und so fing alles an." Einige Fakten über das Verhältnis sind nicht zu bestreiten. Jackson begann, den Jungen anzurufen, und es entwickelte sich eine Freundschaft. Nachdem Jackson drei Monate später von einer Promo-Tour zurückkehrte, wurden June Chandler Schwartz und ihre Kinder häufige Gäste auf Neverland, Jacksons Ranch im Bezirk Santa Barbara. Während des folgenden Jahres überhäufte Jackson den Jungen und seine Familie mit Zuwendung und Geschenken, einschließlich Videospielen, Uhren, Einkaufsbummel bei Toys ‚R’ Us und Reisen rund um die Welt - von Las Vegas und Disney Word bis nach Monaco und Paris.

Um den März 1993 herum waren Jackson und der Junge häufig zusammen, und die gemeinsamen Übernachtungen begannen. June Chandler Schwartz war Jackson auch nahe gekommen "und mochte ihn ganz enorm", sagt ein Freund. "Er war der netteste Mann, den sie je kennen gelernt hatte." Über Jacksons Exzentrizität - von seinen Schönheitsoperationen bis hin zu seiner Vorliebe für die Begleitung von Kindern - wurde schon viel berichtet. Und wenn es vielleicht auch ungewöhnlich für einen 35jährigen Mann ist, bei einem 13jährigen Kind zu übernachten, fanden weder die Mutter des Jungen noch andere Jackson Nahestehende es nicht merkwürdig. Jacksons Verhalten ist besser zu verstehen, wenn man es in Zusammenhang mit seiner eigenen Kindheit betrachtet.

"Im Gegensatz zu dem, was man vielleicht glaubt, war Michaels Leben kein Zuckerschlecken", sagt einer seiner Anwälte. Jacksons Kindheit war rapide und endgültig beendet - und sein ungewöhnliches Leben begann, als er 5 Jahre alt war und in Gary/Indiana lebte. Michael verbrachte seine Jugend in Aufnahmestudios, auf Bühnen, wo er vor Millionen von Fremden auftrat, und mit Übernachtungen in einer endlosen Reihe von Hotelzimmern. Mit Ausnahme seiner acht Brüder und Schwestern war Jackson nur von Erwachsenen umgeben, die ihn rücksichtslos antrieben, besonders sein Vater, Joe Jackson - ein strenger Mann, der keine Zuneigung zeigen konnte, und - Berichten zufolge - seine Kinder schlug.

Jacksons frühe Erfahrungen schlugen sich in einer Art verzögerten Entwicklung nieder, meinen viele, und er wurde zu einem Kind im Körper eines Mannes. "Er hatte keine Kindheit", sagt Bert Fields, ein früherer Anwalt Jacksons. "Das holt er jetzt nach. Seine Kumpel sind 12jährige Kinder. Sie machen Kissenschlachten und dergleichen." Jacksons Interesse an Kindern führte auch zu humanitären Leistungen. In all den Jahren hat er Millionen zu Gunsten von Kindern gegeben, seine eigene "Heal the World"-Stiftung eingeschlossen. Aber man muss das noch in einem anderen Zusammenhang sehen - einem, der mit unserer Zeit zu tun hat - in dem, wie die Meisten Jacksons Verhalten betrachten werden. "Bei der Verwirrung und Hysterie über Kindesmissbrauch", sagt Dr. Phillip Resnick, ein Psychiater aus Cleveland, "wird jeder physische oder umhegende Kontakt zu Kindern mit Argwohn betrachtet, und der Erwachsene kann sehr leicht sexuellen Fehlverhaltens beschuldigt werden".

Jacksons Verhältnis wurde von den Erwachsenen im Leben des Jungen zunächst sehr begrüßt - von seiner Mutter, seinem Stiefvater und eben seinem leiblichen Vater, Evan Chandler (der sich ebenfalls weigerte, sich für diesen Artikel interviewen zu lassen). Geboren in der Bronx als Evan Robert Charmatz, folgte er zögernd seinem Vater und seinen Brüdern und wurde Zahnarzt. "Er hasste es, Zahnarzt zu sein", sagt ein Freund der Familie. "Er wollte immer gern Schriftsteller sein." Nachdem er 1973 nach West Palm Beach gezogen war, um dort zu praktizieren, änderte er seinen Nachnamen, weil er fand, dass Charmatz "zu jüdisch klang"", sagt ein früherer Kollege. In der Hoffnung, Drehbuchautor zu werden, zog er in den späten Siebziger Jahren mit seiner Frau June Wong, einer attraktiven Eurasierin, die zeitweise als Model arbeitete, nach Los Angeles.

Für Chandlers zahnärztliche Karriere kamen schlechte Zeiten. Im Dezember 1978, als er im Crenshaw Family Dental Center arbeitete, eine Klinik in einem ärmeren Viertel von Los Angeles, leistete er wiederherstellende Arbeit an sechzehn Zähnen eines Patienten während einer einzigen Sitzung. Eine Untersuchung durch einen zahnärztlichen Untersuchungsausschuss kam zu dem Schluss, dass diese Arbeit "große Unkenntnis und/oder Unfähigkeit"" offenbarte. Der Ausschuss entzog ihm seine Lizenz; allerdings wurde diese Entscheidung rückgängig gemacht und er wurde stattdessen für neunzig Tage suspendiert und erhielt eine Bewährungsfrist von zweieinhalb Jahren. Völlig am Boden zerstört verließ Chandler die Stadt und zog nach New York. Er schrieb ein Drehbuch, konnte es aber nicht verkaufen.

Monate später kehrte Chandler zusammen mit seiner Frau nach L.A. zurück und übernahm eine Reihe zahnärztlicher Jobs. 1980, als ihr Sohn geboren wurde, geriet die Ehe des Paares in Gefahr. "Einer der Gründe, warum June Evan verlassen hat, waren seine Launen", sagt ein Freund der Familie. 1985 wurden sie geschieden. Das Gericht übertrug der Mutter das alleinige Sorgerecht und ordnete monatliche Unterhaltszahlungen in Höhe von 500 Dollar an, aber eine Durchsicht der Akten zeigt, dass Chandler seiner Ex-Frau im Jahre 1993 - als der Jackson-Skandal bekannt wurde - 68.000 Dollar schuldete - einen Rückstand, auf den sie letztlich verzichtete.

Ein Jahr bevor Jackson in das Leben seines Sohnes trat, hatte Chandler wieder ein ernstes berufliches Problem. Eine seiner Patientinnen, ein Model, verklagte ihn wegen zahnärztlicher Nachlässigkeit, nachdem er einige ihrer Zähne behandelt hatte. Chandler behauptete, dass die Frau eine Einverständniserklärung unterschrieben hatte, nach der ihr die Risiken bekannt waren. Aber als Edwin Zinman, ihr Anwalt, die Originalakte sehen wollte, erklärte Chandler, sie sei ihm aus dem Kofferraum seines Jaguar gestohlen worden. Er legte Kopien vor. Zinman, nun argwöhnisch, konnte die Echtheit dieser Akten nicht bestätigen. "Was für ein außergewöhnlicher Zufall, dass sie gestohlen waren", sagt Zinman heute. "Das ist wie ‚Der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen‘". Der Fall wurde gegen eine nicht genante Summe außergerichtlich beigelegt.

Trotz solcher Rückschläge hatte Chandler dann eine erfolgreiche Praxis in Beverly Hills. Und er hatte seinen Durchbruch in Hollywood 1992, als der bei Mel Brooks "Robin Hood: Männer in Strumpfhosen" Co-Autor war. Bis Michael Jackson in das Leben seines Sohnes trat, hatte Chandler nicht viel Interesse an dem Jungen gezeigt. "Er versprach, ihm einen Computer zu kaufen, damit sie Drehbücher zusammen schreiben könnten, aber er tat es nie"", sagt Michael Freeman, ein früherer Anwalt von June Chandler Schwartz. Chandlers Zahnpraxis hielt ihn auf Trapp und er hatte eine neue Familie gegründet mit zwei kleinen Kindern von seiner zweiten Frau, einer Anwältin.

Zunächst hieß Chandler das Verhältnis seines Sohnes zu Michael Jackson willkommen und bestärkte ihn darin, gab bei Freunden und Kollegen damit an. Als Jackson und der Junge im Mai 1993 bei ihm waren, drängte Chandler den Entertainer, mehr Zeit mit seinem Sohn in seinem Hause zu verbringen. Quellen zufolge schlug Chandler sogar einen Anbau an sein Haus vor, damit der Sänger dort leben konnte. Nach abschlägige Gesprächen mit dem Bauamt machte Chandler einen anderen Vorschlag: Jackson sollte ihm ein neues Haus bauen.

In dem Monat, als der Junge, die Mutter und Jackson nach Monaco zu den World Music Awards geflogen waren, "fing Evan an, eifersüchtig zu werden und fühlte sich ausgeschlossen", sagt Freeman. Nach ihrer Rückkehr waren Jackson und der Junge wieder bei Chandler, was ihn sehr freute - ein fünftägiger Besuch, währenddessen sie in einem Zimmer mit dem Halbbruder des Jungen schliefen. Obwohl Chandler erklärte, gesehen zu haben, dass Jackson und der Junge immer bekleidet waren, wenn er sie zusammen im Bett sah, behauptete er, das er zu jener Zeit war, als er den Verdacht sexueller Vergehen schöpfte. Zu keiner Zeit behauptete Chandler, Zeuge irgendwelcher sexueller Vergehen von Jacksons Seite geworden zu sein.

Chandler wurde zunehmend unwillig, und sprach Drohungen aus, die Jackson, Dave Schwartz und June Chandler Schwartz befremdeten. Im frühen Juli 1993, schnitt Dave Schwartz, der gut mit Chandler auskam, heimlich ein längeres Telefongespräch mit Chandler mit. Während dieser Unterhaltung sprach Chandler von seiner Sorge um seinen Sohn und seiner Wut auf Jackson und seine Ex-Frau, die er als "kalt und herzlos" beschrieb. Als Chandler versuchte, für eine Diskussion über seinen Verdacht gegen Jackson "ihre Aufmerksamkeit zu erringen" , so erzählt er auf dem Band, sagte sie zu ihm "Fick dich selbst!"

"Ich verstand mich gut mit Michael", sagte Chandler zu Schwartz. "Wir waren Freunde. Ich mochte und respektierte ihn so wie er ist. Es gab keinen Grund, mich nicht mehr anzurufen. Eines Tages unterhielt ich mich mit Michael und sagte ihm ganz genau, was ich von dieser Beziehung erwartete. Was ICH wollte." Chandler gab Schwartz gegenüber zu, dass er "geprobt" hatte, was er sagen wollte und was nicht. Chandler erwähnte während dieser Unterhaltung nie etwas von Geld. Als Schwarz ihn Fragte, was Jackson getan hat, um ihm so wütend zu machen, gab Chandler nur an, dass "er die Familie auseinander gebracht hat. Er [Der Junge] ist durch die Macht und das Geld dieses Kerls verführt worden."Beide Männer beschimpften sich gegenseitig als schlechte Väter für den Jungen.

An anderer Stelle auf dem Band, gab Chandler zu erkennen, dass er bereit war, etwas gegen Jackson zu unternehmen. "Es ist alles bereit", erzählte Chandler Schwartz. "Es sind noch andere Leute, die nur auf meinen Anruf waren, darin verwickelt. Ich habe sie dafür bezahlt. Alles läuft nach einem bestimmten Plan ab, der nicht von mir stammt. Wenn ich diesen Anruf mache, wird dieser Kerl [vermutlich sein Anwalt Barry K. Rothman] jeden in Sichtweite zerstören auf jede erdenkliche verschlagene, hässliche und grausame Weise. Und ich habe ihm die volle Befugnis dazu gegeben."

Chandler sagte dann vorher, was tatsächlich sechs Wochen später geschah: "Wenn ich damit fertig bin, bin ich ganz groß. Ich kann gar nicht verlieren. Ich hab das von allen Seiten geprüft. Ich werde alles bekommen, was ich will, und sie werden für immer zerstört sein. June wird [das Sorgerecht für den Sohn] verlieren... Und Michaels Karriere wird vorbei sein."

"Hilft das [dem Jungen]?", fragte Schwartz. "Das ist mir egal", antwortete Chandler. Das hier ist größer, als wir alle zusammen. Das Ding wird jeden niederschmettern und jeden in Sichtweite zerstören. Es wird ein Massaker geben, wenn ich nicht bekomme, was ich will."

Anstatt zur Polizei zu gehen, die wohl angemessenste Reaktion auf den Verdacht der sexuellen Belästigung, hatte Chandler sich an einen Anwalt gewendet. Und nicht irgend einen Anwalt. Er wendete sich an Barry Rothman.

"Dieser Anwalt ist der gemeinste Hurensohn, den ich finden konnte", sagte Chandler in dem Mitschnitt des Telefonates mit Schwartz. "Alles was er will, ist mit dieser Sache an die Öffentlichkeit zu gehen; so schnell und groß wie möglich, und dabei so viele Leute zu demütigen, wie es nur möglich ist. Er ist bösartig, er ist gemein, er ist sehr schlau, und er ist publicityhungrig." (Durch seinen Anwalt, Wylie Aitken, lehnte Rothman es ab, für diesen Artikel interviewt zu werden. Aitken stimmte zu, allgemeine Fragen, die nichts mit Chandler oder dem Jungen zu tun hatten, über den Jackson-Fall zu beantworten.)

„Wenn man Rothman kennt, sagt ein früherer Kollege, der während des Jackson-Falles mit ihm zusammenarbeitete, und der Tagebuch führte, was Rothman und Chandler im Büro gesagt und getan haben, muss man glauben, dass Barry sich den ganzen Plan ausgedacht hat. Punkt. Charakterlich ist ihm so etwas [Michael Jackson zu beschuldigen] durchaus zuzutrauen." Information von Rothmans früheren Mandanten, Kollegen und Angestellten zeigen auf, dass Manipulationen und Betrug zu seinen Verhaltensmustern gehören.

Rothman hat eine Anwaltspraxis in Century City. Früher handelte er Musik- und Konzertverträge aus für Little Richard, die Rolling Stones, The Who, ELO und Ozzy Osbourne. Gold- und Platinschallplatten aus dieser Zeit hängen immer noch in seinem Büro. Eine frühere Angestellte nennt ihn einen unbeherrschten Dämon. Am meisten hing er an seinem 1977er Rolls Royce Corniche, dessen Nummernschild "BKR 1" lautete.

Im Laufe der Jahre hat Rothman sich so viele Feinde gemacht, dass seine Ex-Frau ihrem Anwalt gegenüber mal äußerte, sie sei überrascht, dass noch niemand "ihn erledigt hat". Er steht in dem Ruf, knallhart zu sein. "Er bezahlt fast niemanden", schloss Ed Marcus (in einem Bericht des Superiour Court in Los Angeles, als Teil eines Verfahrens gegen Rothman), nach Durchsicht einer Zusammenstellung, die besagte, dass mehr als dreißig Gläubiger und Wechselinhaber hinter ihm her waren. Außerdem waren mehr als zwanzig Zivilverfahren anhängig, und viele Beschwerden waren an die Labor Commission gerichtet worden, sowie drei Disziplinarverfahren für drei verschiedene Vorfälle die gegen ihn vor ein kalifornisches Gericht gebracht wurden. 1992 war er für ein Jahr aus der Anwaltskammer ausgeschlossen worden. Aber die Suspendierung wurde wieder aufgehoben und in eine Bewährungsstrafe umgewandelt.

1987 war Rothman mit 16.800 Dollar Unterhaltszahlungen im Rückstand. Durch ihren Anwalt drohte seine Ex-Frau mit Pfändung, ließ sich aber auf einen Zahlungsaufschub ein. Als Rothman ein Jahr später immer noch keine Zahlung geleistet hatte, versuchte Wards Anwalt, sein teures Sherman Oaks-Haus zu beleihen. Zu ihrer Überraschung erklärte Rothman, dass ihm das Haus nicht mehr gehörte; drei Jahre davor hatte er das Anwesen an Tinoa Operations Inc. Übertragen, eine panamesische Scheinfirma. Lt. Wards Anwalt behauptete Rothman, dass er eines Nachts 200.000 Dollar von Tinoas Geld in seinem Haus hatte, als er ausgeraubt wurde. Die einzige Möglichkeit der Wiedergutmachung war, Tinoa sein Haus zu überschreiben, erzählte er. Ward und ihr Anwalt vermuteten, dass das ganze Szenario eine Finte war, aber sie konnten es nie beweisen. Erst nachdem die Polizei seinem Rolls Royce beschlagnahmte, begann er seine Schulden zu bezahlen.

Akten vom Los Angeles Superior Court scheinen den Verdacht von Ward und ihrem Anwalt zu bestätigen. Sie belegen, dass Rothman 1989 ein ausgeklügeltes Netz von ausländischen Bankkonten und Scheinfirmen geschaffen hatte, offensichtlich um Teile seines Besitzes zu verheimlichen - ins Besondere sein Haus und ein Großteil der 531.000 Dollar aus seinem Verkauf. Die Gesellschaften, zu denen auch Tinoa gehörte, können bis zu Rothman zurückverfolgt werden. Er kaufte eine panamesische Scheinfirma (eine zwar existierende, aber nicht arbeitende Firma) und arrangierte es so, dass sein Name nicht als Geschäftsführer erschien. Er hatte absolute Vollmacht, Geld hin und her zu schieben.

Rothmans Angestellten ging es nicht viel besser, als seiner früheren Frau. Frühere Angestellte sagen, dass sie manchmal um ihren Gehaltsscheck betteln mussten. Und manchmal waren diese Schecks nicht gedeckt. Er konnte keine Sekretärinnen halten. " Er betrog und erniedrigte sie", sagt eine von ihnen. Zeitarbeitskräfte traf es am Schlimmsten. "Er ließ sie für zwei Wochen für sich arbeiten", fügt die Anwaltssekretärin hinzu, "dann vergraulte er sie, indem er sie anschrie und behauptete sie seien dumm. Dann erzählte er der Agentur, dass er mit der Arbeit unzufrieden sei und nicht zahlen würde." Manche Agenturen wurden klug und verlangten von Rothman Vorauszahlungen, bevor sie mit ihm Geschäfte machten.

Die Disziplinarstrafe von 1992 resultierte aus einem Interessenkonflikt. Ein Jahr davor war Rothman von einer Mandantin, Muriel Metcawl, die er in einem Sorgerechtsfall und wegen Unterhaltszahlungen vertrat, entlassen. Später beschuldigte Metcalf ihn wegen überzogener Rechnungsforderungen. Vier Monate, nachdem Metcalf ihn gefeuert hatte, begann er, ihren ehemaligen Kompagnon, Bob Brutzman, zu vertreten.

Dieser Fall ist aus noch einem anderen Grund bezeichnend: Es beweist, dass Rothman schon vor dem Jackson-Skandal einige Erfahrung hatte im Umgang mit Anklagen wegen Kindesmissbrauchs. Metcalf hatte, noch während Rothman sie vertrat, Brutzman beschuldigt, ihr gemeinsames Kind sexuell belästigt zu haben (was Brutzman bestritt). Rothmans Kenntnis über Metscalfs Anklagen hielt ihn nicht davon ab, für Brutzmans Firma zu arbeiten - ein Schritt, für den er eine Disziplinarstrafe erhielt.

1992 lief Rothman vor zahlreichen Gläubigern davon. Folb Management, eine Grundstücksgesellschaft, war einer von ihnen. Rothman schuldete der Firma 53.000 Dollar an Mieten plus Zinsen für ein Büro am Sunset Boulevard. Folb klagte. Rothman klagte dagegen, indem er behauptete, dass der Sicherheitsdienst des Gebäudes so schlecht war, dass Diebe eines Nachts Equipment im Wert von mehr als 6.900 Dollar stehlen konnten. Im Laufe der Verhandlung erklärte Folbs Anwalt dem Gericht: "Mr. Rothman ist nicht die Sorte von Mensch, die man beim Wort nehmen kann." Im November 1992 meldete Rothmans Anwaltsfirma bankrott an, und listete dreizehn Gläubiger - einschließlich Folb Management - mit einer Gesamtschuld von 880.000 Dollar, ohne entsprechenden Gegenwert. Nach Durchsicht der Papiere, stellte ein Ex-Klient, den Rothman auf 400.000 Dollar Anwaltskosten verklagte, fest, dass Rothman Güter im Wert von 133.000 Dollar nicht aufgelistet hatte. Dieser frühere Mandant drohte Rothman, ihn wegen "Betrugs an seinen Gläubigern" anzuzeigen - ein Vergehen - wenn er die Klage gegen ihn nicht fallen lassen würde. In die Ecke getrieben, hatte Rothman die Klage innerhalb von Stunden zurückgezogen.

Sechs Monate bevor er Konkurs anmeldete, hatte Rothman seinen Rolls Royce an Majo, eine fiktive Firma, die er kontrollierte, überschrieben. Drei Jahre davor, hatte er eine andere Firma - Longridge Estates, eine Tochterfirma von Tinoa Operations, als Besitzer des Autos angegeben. Die gleiche Firma, der die Besitzurkunde für sein Haus gehörte. Auf Gesellschaftsverträgen, die Rothman aufgesetzt hatte, waren die Adressen von Longridge und Tinoa identisch - 1554 Cahuenga Boulevard. Eine Adresse, die sich als die eines China Restaurants entpuppte. Und mit diesem Mann begann Evan Chandler im Juni 1993 einen "gewissen Plan" auszuarbeiten, von dem er in dem Telefongespräch mit Dave Schwartz sprach. Während einer Abschlussfeier in jenem Monat konfrontierte er seine Ex-Frau June mit seinem Verdacht. "Sie fand die ganze Sache albern", sagt ihr früherer Anwalt, Michael Freeman. Sie erzählte Chandler, dass sie vorhatte, ihren Sohn im Herbst aus der Schule zu nehmen, damit er Jackson auf seiner "Dangerous"-Tournee begleiten konnte. Chandler wurde wütend und, so sagen mehrere Zeugen, drohte, mit den Beweisen, die er angeblich gegen Jackson hatte, an die Öffentlichkeit zu gehen. "Welche Eltern, die noch bei Sinnen sind, würden wollen, dass ihr Kind so ins Scheinwerferlicht gezerrt wird", frage Freeman. "Wenn so etwas wirklich geschieht, will man sein Kind doch schützen."

Jackson bat seinen damaligen Anwalt, zu intervenieren. Als einer der bekanntesten Anwälte in der Unterhaltungsindustrie hatte Fields Jackson seit 1990 vertreten, und hatte für ihn den Vertrag mit Sony ausgehandelt, der Jackson vermutlich 700 Millionen Dollar einbringen konnte. Fields brachte den Privatdetektiv Anthony Pelicano mit ein. Pelicano erledigt die Dinge auf sizilianische Weise, indem er unglaublich loyal ist zu Leuten, die er mag, und rücksichtslos gegen seine Feinde. Am 9. Juli 1993 spielten Dave Schwartz und June Chandler Schwartz Pelicano das mitgeschnittene Gespräch vor. "Ich hörte 10 Minuten von dem Band und wusste, dass es hier um Erpressung ging", sagt Pelicano. Am gleichen Tag fuhr er zu Jacksons Wohnung in Century City, wo Chandlers Sohn und dessen Halbschwester zu Besuch waren. In Jacksons Abwesenheit hatte Pelicaon "Augenkontakt" zu dem Jungen und fragte ihn "sehr genaue Fragen". "Hat Michael dich jemals berührt? Hast du ihn jemals nackend im Bet gesehen?" Die Antwort auf all diese Fragen war nein. Der Junge verneinte wiederholt, dass etwas Schlechtes geschehen war. Am 11. Juli, nachdem Jackson sich geweigert hatte, sich mit Chandler zu treffen, gingen der Vater und Rothman zum nächsten Teil des Plans über - sie wollten das Sorgerecht für den Jungen. Chandler bat seine Frau darum, dass der Junge ihn "eine Woche lang besuchen durfte". Wie Bert Fields später an Eides statt erklärte, erlaubte June Chandler Schwartz dem Jungen zu gehen unter der Voraussetzung, dass er nach diesem Zeitraum zurückkommen würde, ahnungslos, dass Rothmans Wort wertlos war, und dass Chandler ihren Sohn nicht zurück kehren lassen würde.

Wylie Aitken, Rothmans Anwalt, behauptet, dass "zu der Zeit, als [Rothman] sein Wort gegeben habe, es seine Absicht gewesen sei, den Jungen zurückzubringen". Aber als "er hörte, dass der Junge außer Landes gebracht werden sollte, [damit er mit Jackson auf Tour gehen könnte], hatte Mr. Rothman wohl keine andere Wahl". Aber der Zeitablauf zeigt deutlich, dass Chandler bereits im Juni, während der Abschlussfeier, gehört hatte, dass die Mutter vorhatte, ihren Sohn mit auf Tournee gehen zu lassen. Der Mitschnitt des Telefongespräches von Anfang Juli scheint auch zu belegen, dass Chandler und Rothman nicht vorhatten, die Besuchsvereinbarung einzuhalten. "Sie [der Junge und seine Mutter] wissen es noch nicht", erklärte Chandler Schwartz, "aber sie gehen nirgendwo hin."

Am 12. Juli, einen Tag nachdem Chandler die Kontrolle über seinen Sohn übernommen hatte, ließ er seine Ex-Frau ein von Rothman vorbereitetes Papier unterschreiben, nach dem der Junge Los Angeles County nicht verlassen durfte. Dies bedeutete, dass es dem Jungen unmöglich sein würde, Jackson auf Tour zu begleiten. Die Mutter erzählte vor Gericht, dass sie dieses Dokument unter Zwang unterschrieben hatte. Chandler, so hieß es in ihrer eidesstattlichen Erklärung, hatte ihr damit gedroht, dass "ich den Jungen nicht wiederbekommen würde". Ein erbitterter Sorgerechtsstreit begann, der die Anschuldigungen wegen Jacksons angeblichem Fehlverhalten noch schlimmer machte. (Heute, im August 1994, lebt der Junge immer noch bei Chandler). Innerhalb der ersten paar Wochen, nachdem Chandler die Kontrolle über seinen Sohn hatte - der Junge war nun getrennt von seinen Freunden, seiner Mutter und seinem Stiefvater - nahmen die Anschuldigungen des Jungen Form an.

Zur gleichen Zeit rief Rothman Dr. Mathis Abrams, einen Psychiater aus Beverly Hills an, weil er die Meinung eines Experten hören wollte, der helfen sollte, die Anschuldigungen gegen Jackson darzulegen. Am Telefon erzählte Rothman Abrams einen hypothetischen Fall. Als Antwort darauf, und ohne Chandler noch seinen Sohn jemals getroffen zu haben, schickte Abrams Rothman am 15. Juli einen zweiseitigen Brief, in dem er darlegte, dass "begründeter Verdacht bestehe, dass sexueller Missbrauch stattgefunden habe". Er führt außerdem aus, dass, wenn dies ein tatsächlicher und nicht ein hypothetischer Fall wäre, er die Angelegenheit dem Los Angeles County melden müsse.

Einem Eintrag in einem Tagebuch zufolge, das Rothmans frühere Mitarbeiterin führte, ist es offensichtlich, dass Rothman Chandler zu diesem Plan hinführte. "Rothman schrieb einen Brief an Chandler mit der Anweisung, wie er Kindesmissbrauch ohne in Erscheinung treten der Eltern berichten muss", lautet der Tagebucheintrag. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es immer noch keine Forderungen oder formelle Anklagen, nur versteckte Vorwürfe, die mit einem heftigen Sorgerechtsstreit verflochen waren. Am 4. August 1993 wurde es schließlich sehr deutlich. Chandler und sein Sohn trafen sich in einer Suite um Westwood Marquis Hotel mit Jackson und Pellicano. Beim Zusammentreffen, sagt Pellicano, umarmte Chandler den Sänger liebevoll (eine Geste, so könnte man sagen, die dem Verdacht des Zahnarztes, sein Sohn sei belästigt worden, nicht gerecht wurde), langte dann in seine Tasche, zog Abrams Brief heraus und begann, Passagen daraus vorzulesen. Als Chandler zu dem Teil über die sexuelle Belästigung kam, senkte der Junge laut Pellicano seinen Kopf und sah dann Jackson mit einem überraschten Gesichtsausdruck an, als wollte er sagen: „Das habe ich nicht gesagt.„ Als das Treffen abgebrochen wurde, zeigte Chandler lt. Pellicano mit dem Finger auf Jackson und sagte: „Ich werde dich ruinieren.„

Während eines Treffen mit Pellicano, das später am Abend in Rothmans Büro stattfand, stellten Chandler und Rothman ihre Forderung - 20 Millionen Dollar. Am 13. August fand ein weiteres Treffen in Rothmans Büro statt. Pellicano kam mit einem Gegenangebot - einem Drehbuchvertrag über 350.000 Dollar. Pellicano sagt, er machte dieses Angebot als Ausweg aus dem Sorgerechtsstreit und um Chandler die Möglichkeit zu geben, mehr Zeit mit seinem Sohn zu verbringen, indem sie zusammen an einem Drehbuch arbeiteten. Chandler lehnte das Angebot ab. Rothman hatte nun eine Gegenforderung - ein Vertrag über entweder drei Drehbücher oder gar nichts - diese Forderung wurde abgelehnt. In dem Tagebuch, das Rothmans ehemalige Mitarbeiterin geführt hatte, zeigt ein Eintrag vom 24. August Chandlers Enttäuschung: „Fast hätte ich ein 20 Millionen-Dollar-Geschäft gehabt", hörte man ihn zu Rothman sagen.

Bevor Chandler die Kontrolle über seinen Sohn hatte, war der Einzige, der Anschuldigungen gegen Jackson erhob, Chandler selbst - der Junge hatte dem Sänger niemals irgendwelche Fehltritte unterstellt. Das änderte sich eines Tages in Chandlers Beverly Hills Zahnarztpraxis. In Gegenwart von Chandler und Mark Torbiner, einem Dental-Anästhesisten, wurde dem Jungen die zweifelhafte Droge Amytal verabreicht, die manche fälschlicherweise für ein Wahrheits-Serum halten. Und es war nach dieser Sitzung, dass der Junge Jackson zum ersten Mal beschuldigte.

Ein Reporter von KCBX-TV in L.A. berichtete am 3. Mai dieses Jahres [1994], dass Chandler diese Droge bei seinem Sohn angewendet hatte. Aber der Zahnarzt behauptete, dies sei nur geschehen, um ihm einen Zahn zu ziehen, und dass der Junge die Anschuldigungen unter Einfluss der Droge vorbrachte. Als Torbiner für diesen Artikel nach der Verabreichung der Droge an diesen Jungen befragt wurde, antwortete er: „„Wenn ich sie verwendet habe, dann nur unter zahnärztlichem Aspekt". Unter Berücksichtigung dessen, was über Sodium Amytal bekannt ist und eines als Meilenstein geltenden Falles, der diese Droge beinhaltete, müssen die Anschuldigungen des Jungen - so sagen viel medizinische Experten - als unglaubwürdig, mindestens jedoch sehr fragwürdig eingestuft werden.

„Das ist eine Psychodroge, auf die man nicht vertrauen kann, wenn man Fakten will„ sagt Dr. Resnick, Psychiater aus Cleveland. „Patienten sind unter dem Einfluss dieser Droge sehr beeinflussbar. Sie sagen unter Sodium Anytal Dinge, die schlichtweg unwahr sind." Sodium Amytal ist ein Barbiturat, das die Patienten in eine Art Hypnose versetzt, wenn es intravenös injiziert wird. Es wurde zuerst zur Behandlung von Gedächtnisschwund bei Soldaten im II. Weltkrieg eingesetzt, die durch das Entsetzen des Krieges traumatisiert waren. Wissenschaftliche Studien von 1952 verwarfen die Droge als Wahrheitsserum und zeigten stattdessen ihre Risiken auf: Falsche Erinnerungen können unter Einfluss dieser Droge leicht eingepflanzt werden.

„Es ist sehr gut möglich allein durch eine Fragestellung, einen Gedanken einzupflanzen", sagt Resnick. Aber die Wirkung ist noch weitergehend: „Der Gedanke kann zur Erinnerung werden, und Studien belegen, dass,selbst wenn man den Patienten die Wahrheit erzählt, sie auf die Bibel schwören werden, dass etwas passiert ist", sagt Resnick. Kürzlich ging es in einem Prozess in Napa County, Kalifornien, um die Zuverlässigkeit der Droge.  Nach mehreren Therapiesitzungen, von denen mindestens eine unter Einwirkung von Sodium Amytal stattfand, beschuldigte die 20jährige Holly Ramona ihren Vater, sie als Kind sexuell belästigt zu haben. Gary Ramona bestritt diese Anschuldigungen vehement und verklagte sowohl die Therapeutin seiner Tochter, als auch den Psychiater,der die Droge verabreicht hatte. Im vergangenen Mai stellten sich die Geschworenen auf die Seite Gary Ramonas, indem sie glaubten, dass Therapeut und Psychiater falsche Erinnerungen hervorgerufen haben. Der Fall Gary Ramona war der erste, in dem erfolgreich das so genannte „Phänomen unterdrückter Erinnerungen" angezweifelt wurde, das während des letzten Jahrzehnts Tausende von falschen Anschuldigungen der sexuellen Belästigung hervorgebracht hatte.

Chandlers Geschichte, die Droge nur zur Betäubung seines Sohnes während einer Zahnbehandlung benutzt zu haben, erscheint vor dem Hintergrund des eigentlichen Gebrauchs dieser Droge sehr zweifelhaft. Es ist eine ausgesprochen psychiatrische Droge", sagt Dr. Kennth Gottlieb, ein Psychiater aus San Francisco, der Sodium Amytal an Patienten mit Gedächtnisschwund verabreicht hat. Und Dr. John Yagiela, Koordinator am Anästhesie- und Schmerzzentrum an der zahnärztlichen Hochschule von L.A. fügt hinzu: „Es ist ungewöhnlich, es zu verwenden, um einen Zahn zu ziehen. Es macht keinen Sinn, da es bessere und sicherere Alternativen gibt. Ich würde es nicht nehmen."

Wegen der Nebeneffekte verabreichen viele Ärzte Sodkum Amytal nur im Krankenhaus. „Ich würde nie eine Droge verwenden, die das Unterbewusstsein eines Patienten beeinflusst, wenn andere Medikamente verfügbar sind", sagt Gottlieb. „Und ich würde es - für den Fall einer allergischen Reaktion - nicht ohne Bereithaltung von Reanimationstechnik verwenden, und auch dann nur in Anwesenheit eines Anästhesisten". Chandler, so scheint es, hat sich an diese Richtlinien nicht gehalten. Er führte diesen Eingriff in seiner Praxis durch und verließ sich auf den Dental-Anästhesisten Mark Torbiner (Es war Torbiner, der Rothman und Chandler 1991 in Verbindung brachte, als Rothman einen Zahnarzt brauchte.)

Torbiner scheint sehr erfolgreich zu sein. Er hat keine eigene Praxis, sondern fährt stattdessen zu verschiedenen Zahnarztpraxen in der ganzen Stadt, wo er Betäubungen verabreicht. Wir haben gehört, dass die US-Drogenbehörde einen Aspekt von Torbiners Geschäftspraktik untersucht: Er macht Hausbesuche, um Drogen zu verabreichen - hauptsächlich Morphium und Demerol - nicht nur nach Zahnoperationen, sondern auch - so scheint es - bei Leuten, deren Schmerzen nichts mit zahnärztlicher Arbeit zu tun haben. Er kommt zu seinen - zum Teil berühmten - Patienten nach Hause mit einer Art Anglertasche, die Drogen und Spritzen beinhaltet.

Laut Jones, stellt Torbiner 350 Dollar für einen 10minütigen Besuch in Rechnung. Jones beschreibt es als gängige Praxis, wenn es unklar ist, wie lange Torbiner bleiben muss, dass der Patient einen Blankoscheck ausstellt, bevor die Betäubung einsetzt. Torbiner setzt dann nur noch die angemessene Summe ein. Torbiner war nicht immer so erfolgreich. 1989 wurde er bei einer Lüge erwischt und musste von der UCLA, wo er als Assistant-Professor an der zahnärztlichen Hochschule arbeitete, zurücktreten. Torbiner hatte um einen halben freien Tag gebeten, um an religiösen Feierlichkeiten teilnehmen zu können, aber man fand heraus, dass er stattdessen in einer Zahnarztpraxis gearbeitet hatte.

Lt. Zulassung zum Board of Dental Examiners darf er Medikamente nur im Zusammenhang mit Zahnbehandlungen verabreichen. Aber es gibt deutliche Hinweise, dass er sich nicht an diese Beschränkungen gehalten hat. Tatsächlich verabreichte Torbiner bei mindestens acht Gelegenheiten Barry Rothman eine Vollnarkose während einer Haartransplantation. Obwohl in solchen Fällen normalerweise nur eine örtliche Betäubung angewandt wird, "Barry hatte solche Angst vor den Schmerzen", sagt Dr. James De Yarman, der Arzt, der die Transplantation durchführte, "dass [er] völlig ausgeschaltet werden wollte". De Yarman sagt, dass er "überrascht" ist, dass Torbiner Zahnarzt ist, weil er ihn für einen Allgemeinmediziner gehalten hat. In einem anderen Fall kam Torbiner zu Nylla Jones nach Hause, wie sie selbst sagt, und spritzte ihr Demerol gegen die Schmerzen nach einer Blinddarmoperation.

Am 16. August, drei Tage nachdem Chandler und Rothman den 350.000 Dollar Drehbuch-Deal zurückgewiesen hatten, eskalierte die Situation. Michael Freeman erklärte Rothman, dass er im Auftrag von June Chandler Schwartz eine Verfügung einreichen würde, die Chandler zwingen sollte, den Jungen zurückzubringen. Chandler reagierte schnell, indem er seinen Sohn zu Mathis Abrams brachte, dem Psychiater, der Rothman mit seiner Einschätzung des hypothetischen Kindesmissbrauchs versorgt hatte. Während einer dreistündigen Sitzung behauptete der Junge, Jackson hätte ein sexuelles Verhältnis zu ihm. Er sprach von Masturbation, Küssen, Streicheln von Brustwarzen und oralem Sex. Es war allerdings nicht von Rede von sexuellem Eindringen, denn das hätte durch eine ärztliche Untersuchung belegt werden können. Der nächste Schritt war unvermeidlich. Abrams, der gesetzlich dazu verpflichtet ist, derartige Anschuldigungen den Behörden zu melden, rief einen Sozialarbeiter der Kinderfürsorgestelle an, der seinerseits die Polizei benachrichtigte. Die umfangreiche Untersuchung von Michael Jackson nahm ihren Lauf.

Fünf Tage, nachdem Abrams die Behörden informiert hatte, bekamen die Medien Wind von der Untersuchung. Am Sonntagmorgen, dem 22. August, schlief der freischaffende Reporter Don Ray noch, als sein Telefon klingelte. Der Anrufer, einer seiner Informanten, berichtete, dass Durchsuchungsbefehle für Jacksons Ranch und seine Wohnung ausgestellt worden waren. Ray verkaufte die Geschichte an KNBC-TV in Los Angeles, die die Nachricht um 4 Uhr nachmittags des folgenden Tages brachte.

Danach sah Ray "die Geschichte abgehen, wie die Post", sagt er. Innerhalb vierundzwanzig Stunden war Jackson die Titelstory in siebenunddreißig Fernsehnachrichten allein im Gebiet Los Angeles, und war Titelgeschichte auf jeder britischen Zeitung. Die Geschichte, dass Michael Jackson einen 13jährigen Jungen belästigt haben sollte, wurde eine Geschichte von wahnsinniger Übertreibung und Gerüchten ohne Grundlagen, die praktisch die schmale Trennlinie zwischen Klatschpresse und seriösem Journalismus verschwinden ließ.

Das Ausmaß der Anschuldigungen gegen Jackson wurde erst am 25. August bekannt. Jemand innerhalb der Kinderfürsorgestelle reichte illegal eine Kopie des Berichtes des angeblichen Missbrauchs an Diane Dimond von "Hard Copy" weiter. Innerhalb weniger Stunden hatte auch das Los Angeles- Büro einer englischen Zeitung die Kopie und verkaufte weitere Kopien an jeden Reporter, der bereit war, 750 Dollar dafür zu bezahlen. Am nächsten Tag wusste die ganze Welt über genaue Einzelheiten bescheid.

"Als sie nebeneinander im Bett lagen, schob Jackson seine Hand in die Shorts [des Kindes]", hatte der Sozialarbeiter geschrieben. Von da an war die Jagd auf Jackson eröffnet.

"Der Wettbewerb unter den Nachrichtenorganisationen wurde so heftig," sagt KNBC-Reporter Conan Nolan, "dass die Meldungen nicht überprüft wurden. Das war sehr unglücklich". Der National Enquirer setzte zwanzig Reporter auf die Geschichte an. Ein Team klopfte an 500 Türen in Brentwood in dem Versuch, Evan Chandler und seinen Sohn ausfindig zu machen. Nachdem sie Besitzurkunden eingesehen hatten, gelang es ihnen schließlich, Chandler in seinem schwarzen Mercedes zu stellen. "Er war kein glücklicher Mann. Aber ich war es", sagt Andy O‘Brien, ein Paparazzo.

Als nächstes kamen Jacksons frühere Angestellte. Zuerst versuchten Stella und Philippe Lemarque, Jacksons Ex-Hausverwalter, ihre Geschichte mit Hilfe des Brokers Paul Barrese, einem früheren Pornostar, an die Zeitungen zu verkaufen. Sie wollten eine halbe Million Dollar, verkauften ihr Interview dann aber für 15.000 Dollar an das englische Globe-Magazin. Es folgen die Quindoys, ein philippinisches Ehepaar, das auf Neverland gearbeitet hatte. Für 100.000 Dollar sagten sie "die Hand war auf der Hose des Kindes", erzählte ein Produzent von "Frontline", einer PBS-Sendung. Also schloss das Büro des Bezirksstaatsanwaltes, dass beide Paare als Zeugen nützlich sein würden.

Als nächsten kamen die Bodyguards. Diane Dimond von "Hard Copy" behauptete im vergangenen November, dass ihr Sender hohe ethische Grundsätze angelegt habe. "Wir haben für diese Geschichte überhaupt kein Geld bezahlt". Aber zwei Wochen später zeigte ein Vertrag mit Hard Copy, dass die Sendung eine Summe von 100.000 Dollar für fünf frühere Mitarbeiter von Jackson ausgehandelt hatte, die eine 10 Millionen Dollar Klage wegen unrechtmäßiger Kündigung anstrengen wollten.

Am 1. Dezember traten zwei der Bodyguards, mit dem Handel unter Dach und Fach, in der Sendung auf. Sie wurden gefeuert, erzählte Dimond den Zuschauern, weil "sie zu viel über Michael Jackson und sein merkwürdiges Verhältnis zu kleinen Jungen" wussten. Tatsächlich besagte ihre Aussage unter Eid drei Monate später, dass sie niemals gesehen hatten, dass Jackson etwas unanständiges mit Chandlers Sohn oder irgend einem anderen Kind getan hatte.

"Sie wissen also nichts über Mr. Jackson und [den Jungen), nicht wahr?, frage einer von Jacksons Anwälten den früheren Security-Angestellten Morris Williams unter Eid.

"Alles was ich weiß, stammt von beschworenen Aussagen anderer Leute".

"Aber abgesehen von dem, was andere vielleicht gesagt haben, haben Sie ein Wissen aus erster Hand über Mr. Jackson und [den Jungen), stimmt das?"

"Das stimmt."

"Haben Sie mit einem Kind gesprochen, das ihnen erzählt hat, dass Mr. Jackson etwas unanständiges mir einem Kind gemacht hat?"

"Nein"

Auf die Frage von Jacksons Anwalt, wo er seinen Eindruck her hatte, antwortete Williams:

"Aus dem, was ich in den Medien gehört habe und dem, was ich mit eigenen Augen gesehen habe."

"Okay, darum geht es. Sie haben nichts mit eigenen Augen gesehen, stimmts?"

"Das stimmt. Nichts."

(Die Klage des Sicherheitsangestellten, die im März 1994 eingereicht wurde, befand sich zur Drucklegung dieses Artikels noch in Schwebe. Sie wurde im Juli 1995 abgewiesen.)

Als nächstes kam das Dienstmädchen. Am 15. Dezember präsentierte Hard Copy "Das schmerzhafte Geheimnis des Dienstmädchens". Blanca Franca erzählte Dimond und anderen Reportern, sie hätte einen nackten Jackson gesehen, der mit kleinen Jungen geduscht und im Whirlpool gebadet hat. Sie erzählte Dimond auch, dass sie ihren eigenen Sohn in kompromittierender Stellung mit Jackson gesehen habe - eine Anschuldigung, die die Grand Jury offensichtlich nicht führ glaubwürdig hielt.

Eine Kopie von Francias vereidigter Aussage offenbart, dass Hard Copy ihr 20.000 Dollar gezahlt hat. Und hätte Dimond die Behauptungen dieser Frau hinterfragt, hätte sie festgestellt, dass sie falsch waren. Während einer Befragung durch einen Anwalt Jacksons gab sie zu, dass sie Jackson tatsächlich niemals mit irgendwem hat duschen sehen, und dass sie ihn niemals nackend mit Jungen im Whirlpool gesehen hat. Sie hatten immer ihre Badehosen an, gab sie zu.

Die Berichterstattung, sagt Michael Levine, Jacksons Pressesprecher, "folgte der Weltsicht eines Proktologen. "Hard Copy" war abscheulich. Die bösartige und gemeine Behandlung dieses Mannes durch die Medien geschah aus selbstsüchtigen Beweggründen. [Selbst] wenn man in seinem ganzen Leben noch keine Michael Jackson-Platte gekauft hat, sollte man darüber sehr besorgt sein. Die Gesellschaft stützt sich auf sehr wenige Grundpfeiler. Einer von ihnen ist Wahrheit. Wenn man sie preisgibt, geht alles den Bach hinunter."

Die Untersuchung Jacksons, an der bis zum Oktober 1993 zwölf Ermittler aus Santa Barbara und Los Angeles arbeiten sollten, wurde zum Teil durch die Sichtweise eines einzigen Psychiaters, Martin Abrams, ausgelöst, der keine besonderen Erfahrung auf dem Gebiet des Missbrauchs von Kindern hatte. Abrams, so notierten die Mitarbeiter des Jugendamtes, "hat das Gefühl, das das Kind die Wahrheit sagt". In einer Zeit weit verbreiteter und häufiger falscher Beschuldigung des sexuellen Missbrauchs, verleiht die Polizei und die Anklagevertretung der Aussage von Psychiatern, Therapeuten und Sozialarbeitern großes Gewicht.

Die Polizei beschlagnahmte Jacksons Telefonbücher während der Durchsuchung seiner Ranch im August und befragte danach nahezu dreißig Kinder und ihre Familien. Einige, wie zum Beispiel Brett Barnes und Wade Robson, gaben an, sie hätten mit Jackson das Bett geteilt, erklärten aber übereinstimmend, dass nichts verkehrtes geschehen war. "Unsere Beweise sahen gut aus", sagt einer der Anwälte, die für Jackson gearbeitet haben. "Die Gegenseite hatte nichts außer einer großen Klappe".

Trotz der dürftigen Beweise für ihre Vermutung, dass Jackson schuldig war, weitete die Polizei ihre Anstrengungen nochmals aus. Zwei Ermittler flogen auf die Philippinen, um zu versuchen, die Quindos auf ihre "Hand-in-der-Hose"-Geschichte festzunageln, entschieden aber offensichtlich, dass es ihr an Glaubwürdigkeit mangelte. Die Polizei wandte auch sehr aggressive Untersuchungsmethoden an - zu ihnen gehörten Lügen, die sie den Kindern erzählten, um die Kinder dahin zu bringen, Anschuldigungen gegen Jackson vorzubringen. Nach Aussage mehrerer Eltern, die sich darüber bei Bert Fields beschwerten, erzählten die Ermittler ihnen, ihre Kinder seien sexuell belästigt worden, obwohl die Kinder dies ihren Eltern gegenüber verneinten. Die Polizei, so ein Beschwerdebrief Fields an den Polizeichef von Los Angels, machte den Kindern auch mit empörenden Lügen Angst, wie zum Beispiel "Wir haben Nacktfotos von dir". Natürlich gab es keine solchen Fotos. Einer der Ermittler, Federico Sicard erzählte dem Anwalt Michael Freeman, dass er die Kinder belog, indem er ihnen erzählte, er selbst sei als Kind auch sexuell belästigt worden. Sicard selbst wollte dazu für ein Interview nicht Stellung nehmen.

June Chandler Schwartz widersprach den Anschuldigungen, die Chandler gegen Jackson vorbrachte -- bis zu einem Treffen mit der Polizei im späten August 1993. Die Polizisten Sicard und Rosibel Ferrufino gaben eine Erklärung ab, durch die sie ihre Meinung änderte. "[Die Polizisten] gaben zu, dass sie nur einen Jungen hatte", sagt Freeman, der bei diesem Gespräch anwesend war. "Aber sie sagten ‚Wir sind sicher, dass Michael Jackson diesen Jungen belästigt hat, weil er perfekt in das klassische Profil eines Pädophilen passt‘".

"Aber so etwas wie ein klassisches Profil gibt es gar nicht. Sie machten einen völlig dummen und unlogischen Fehler", sagt Dr. Ralph Underwager, ein Psychiater aus Minnisota, der seit 1953 Pädophile und Inzestopfer behandelt. Jackson wurde "aufgrund von Missverständnissen wie diesem angeprangert, die eine ganze Zeit lang umhergeisterten." Tatsächlich, so besagt eine Studie des US Department of Health and Human Service, erwiesen sich viele Anschuldigungen von Kindesmissbrauch - allein 48 Prozent der im Jahre 1990 vorgegebenen - als unbegründet.

"Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand wie Jackson zur Zielscheibe wurde," sagt Philip Resnick. "Er ist reich, er ist merkwürdig, ist viel mit Kindern zusammen und er hat etwas zerbrechliches. Eine Atmosphäre, in der schon die Anschuldigung besagt, dass es auch geschehen ist."

Die Saat der außergerichtlichen Einigung war bereits gelegt, als die polizeilichen Untersuchungen sich durch den gesamten Herbst hinweg hinzogen. Und hinter den Kulissen hatte ein Kampf unter den Anwälte darum begonnen, welche Strategie die Verteidigung einnehmen sollte.

Inzwischen hatten sich June Chandler Schwartz und Dave Schwartz mit Evan Chandler gegen Jackson zusammengetan. Die Mutter des Jungen, so besagen mehrere Quellen, hatte Angst vor dem, was Chandler und Rothman tun könnten, wenn sie nicht mitspielte. Sie war besorgt darüber, dass sie versuchen könnten, ihr mit der Begründung der Kindesvernachlässigung wegen der Übernachtungen bei Jackson das Sorgerecht zu nehmen. Michael Freeman, legte angewidert sein Mandat nieder, und erklärte später, das "die ganze Sache so ein Schlamassel war. Ich fühlte mich unbehaglich mit Evan. Er ist kein offener Mensch und ich hatte das Gefühl, dass er nicht ehrlich war."

Während der ganzen Monate wurden Anwälte ausgetauscht und degradiert während des Streites über die beste Strategie. Rothman hörte im späten August, als Jacksons Camp gegen beide Klage wegen Erpressung erhob, auf, Chandlers Anwalt zu sein. Beide heuerten daraufhin teure Strafverteidiger an. Laut dem Tagebuch der früheren Angestellten Rothmans, wurde Chandler am 26. August gehört, wie er sagte "Das ist mein Arsch, den ich hinhalten muss und der Gefahr läuft, ins Gefängnis zu müssen". Die Untersuchung der Erpressungsklage war nur oberflächlich, sagt eine Quelle, weil "die Polizei das nicht so ernst nahm. Es hätte da viel mehr getan werden können." Sie hätten, wie sie es bei Jackson getan haben, die Wohnungen und Büros von Rothman und Chandler durchsuchen können. Und wenn beide Männer sich geweigert hätten auszusagen, hätte man eine Grand Jury anrufen können.

Mitte September übernahm Larry Feldman, Anwalt für Zivilrecht und Vorsitzender der Trial Lawyers Association von Los Angeles, die rechtliche Vertretung von Chandlers Sohn und übernahm die Kontrolle. Er reichte eine 30 Millionen Dollar Zivilklage gegen Jackson ein, was sich als der Anfang vom Ende erwies.

Als diese Nachricht bekannt wurde, begannen die Wölfe sich zusammenzurotten. Nach Aussage eines Mitgliedes von Jacksons Verteidigungsteam "bekam Feldman darauf hin Duzende Briefe von Leuten, die behaupteten, von Jackson belästigt worden zu sein. Sie sind all dem nachgegangen, in der Hoffnung noch jemanden zu finden, aber sie fanden gar nichts."

Aufgrund der Möglichkeit einer strafrechtlichen Anklage gegen Jackson brachte Bert Fields nun Howard Weitzman ins Spiel, einen bekannten Strafverteidiger mit einer Reihe hochkarätiger Mandanten, zu denen John DeLoran gehörte, dessen Prozess er gewann und Kim Basinger, deren Streit über ihren "Boxing Helena"-Vertrag er verlor. (Für einen kurzen Zeitraum im Juni war er auch O. J. Simpsons Anwalt.) Es gab Leute, die von Anfang an Probleme zwischen diesen beiden Anwälten vorhersahen. Es gab keinen Raum für zwei starke Anwälte, die es gewohnt waren, ihre eigene Show zu haben.

Von dem Tag an, als Weitzman zum Jackson-Team gestoßen war, "redete er von außergerichtlicher Einigung", sagt Bonnie Ezkenazi, die auch zum Verteidiger-Team gehörte. Da Fields und Pellicano immer noch die Kontrolle über Jacksons Verteidigung hatten, nahmen sie eine sehr aggressive Strategie an. Sie glaubten unerschütterlich an Jacksons Unschuld und wollten die Klage vor Gericht austragen. Pellicano begann daraufhin, Beweismittel zusammenzutragen, die im Prozess, der für den 21. März 1994 angesetzt worden war, vorgelegt werden sollten. "Sie hatten einen sehr schwachen Fall", sagt Fields. "Wir wollten kämpfen. Michael wollte vor Gericht kämpfen. Wir hatten das Gefühl, gewinnen zu können."

Uneinigkeit machte sich im Jackson Camp breit, nachdem Jacksons Publizist auf einer Pressekonferenz ankündigte, dass der Sänger seine Welttournee beenden wolle, um sich wegen seiner Schmerzmittelabhängigkeit in Therapie zu begeben. Fields erklärte Reportern später, dass Jackson "kaum in der Lage war, intellektuell angemessen zu funktionieren." Andere in Jacksons Team fanden es falsch, den Sänger als inkompetent zu portraitieren. [Larry] Feldman und die Presse vertraten die Meinung, dass Jackson untertauchen wollte, und dass das alles nur vorgetäuscht war. Aber das war es nicht".

Am 23. November gerieten die Spannungen auf den Höhepunkt. Aufgrund von Informationen, die er angeblich von Weitzman hatte, erzählte Fields einem Gerichtssaal voller Reporter, dass eine strafrechtliche Anlage gegen Jackson scheinbar bevorstand. Fields hatte einen Grund für diese Ankündigung: Er versuchte, die Zivilklage des Jungen hinauszuzögern, indem er erklärte, dass der bevorstehende Strafprozess zuerst verhandelt werden sollte. Außerhalb des Gerichtsgebäudes fragten Reporter, warum Fields diese Ankündigung gemacht hatte, was Weitzman beantwortete, indem er meinte Fields hätte sich "falsch ausgedrückt". Dieser Kommentar machte Fields sehr wütend, "weil er nicht der Wahrheit entsprach". "Ich war sehr aufgebracht und wütend auf Howard". In der darauf folgenden Woche schrieb er Jackson einen Brief, in dem er sein Mandat niederlegte.

"Da waren sehr viele Leute, die alle etwas anderes wollten, und es war sehr schwierig zu Entscheidungen zu kommen" sagt Fields. "Es war ein Albtraum, und ich wollte da raus." Pellicano, der für seine aggressive Handhabung auch angegriffen worden war, trat zur gleichen Zeit zurück.

Nachdem Fields und Pellicano gegangen waren, brachte Weitzman Johnnie Cochran Jr. ins Spiel, einen bekannten Zivilrechtler, der nun bei der Verteidigung von O. J. Simpson hilft. Und John Branca, den Fields 1990 als Berater ersetzt hatte, kam zurück an Bord. Ende 1993, als die Staatsanwaltschaften von Santa Barbara und von Los Angeles dabei waren, Grand Jurys zusammenstellten, um festzustellen, ob strafrechtliche Klage gegen Jackson erhoben werden sollte, änderte die Verteidigungsstrategie ihren Kurs und es wurde ernsthaft von außergerichtlicher Einigung gesprochen, obwohl auch sein neues Team an Jacksons Unschuld glaubte.

Beweise gegen ihn mit einer außergerichtlichen Einigung einverstanden sein? Seine Anwälte entschieden scheinbar, dass es viele Gründe gab, die dagegen sprachen, diesen Fall vor ein Zivilgericht zu bringen. Einer der Gründe war, dass Jacksons emotionale Zerbrechlichkeit durch die barbarische Berichterstattung der Medien über den Zeitraum des Prozesses, der sich über sechs Monate hätte hinziehen können, auf eine harte Probe gestellt worden wäre. Auch waren inzwischen politische und rassistische Fragen zum Thema in diesem Fall geworden - besonders in Los Angeles, das sich immer noch nicht von der Belastung durch die Rodney King-Sache erholt hatte - und die Verteidigung fürchtete, dass man nicht darauf zählen konnte, das das Gericht Gerechtigkeit üben würde. Außerdem musste man die Zusammensetzung der Geschworenen in Betracht ziehen. "Sie glaubten, dass Latinos Jackson wegen seines Geldes ablehnen könnten, Schwarze könnten ihn ablehnen, weil er versuchte weiß zu sein, und Weiße hätten Probleme im Umgang mit der sexuellen Belästigung." Nach Resnicks Meinung "ist die Hysterie so groß und das Stigma [der Kindesbelästigung] so stark, dass es keine Verteidigung dagegen gab."

Jacksons Anwälte waren auch besorgt darüber, was in einem nachfolgenden Strafprozess geschehen könnte. Besonders in Santa Barbara, einer hauptsächlich weißen, konservativen Gemeinde, deren Einwohner der oberen Mittelklasse angehören. Wie die Verteidigung es auch betrachtete, ein Zivilprozess schien ein Glücksspiel zu werden. Als sie die Inhalte einer außergerichtlichen Einigung ausarbeiteten, meinten die Anwälte, einen Strafprozess verhindern zu können, durch die Annahme, dass Chandler damit einverstanden sein würde, seinen Sohn nicht als Zeugen vor Gericht sehen zu wollen.

Andere, die mit dem Fall vertraut waren meinen, die Entscheidung, den Fall außergerichtlich beizulegen, hatte auch mit etwas anderem zu tun - mit der Reputation der Anwälte. "Können Sie sich vorstellen, was mit einem Anwalt geschieht, der den Michael Jackson-Fall verliert?", sagt Anthony Pellicano.

"Es gibt keine Möglichkeit, dass alle drei Anwälte als Gewinner daraus hervorgehen, außer mit Hilfe einer Einigung. Der Einzige, der dabei verliert, ist Michael Jackson." Aber Jackson, sagt Branca, "änderte seine Meinung, [vor Gericht zugehen], nachdem er in die USA zurückkehrte. Er wusste bisher nicht wie massiv und wie feindselig die Berichterstattung in den Medien war. Er wollte das alles einfach hinter sich bringen."

Auf der anderen Seite, war es inzwischen zwischen den Mitgliedern der Familie des Jungen zu Spannungen gekommen. Während eines Treffens Ende 1993 in Feldmans Büro verlor Chandler nach Zeugenaussagen "völlig die Kontrolle und schlug Dave [Schwartz] zusammen". Schwartz, der zu dieser Zeit von June getrennt lebte, war bei Entscheidungen, die seinen Stiefsohn betrafen, außen vor, und er war verbittert darüber, dass Chandler den Sohn zu sich genommen und nicht wieder zurückgebracht hatte.

"Dave wurde sauer und sagte zu Evan, dass es sich sowieso um Erpressung handelt. Und da stand Evan auf, ging zu Dave hinüber und fing an, ihn zu schlagen," berichtet eine zweite Quelle.

Für jeden, der im Januar 1994 in Los Angeles lebt, gab es nur zwei Gesprächspunkte: das Erdbeben und Michael Jacksons außergerichtliche Einigung. Am 25. Januar stimmte Jackson zu, dem Jungen eine nicht genannte Summe zu zahlen. Am Tag zuvor hatten Jacksons Anwälte die Erpressungsklage gegen Chandler und Rothman zurückgezogen.

Die tatsächliche Summe der Einigung wurde nie bekannt gegeben, aber es wurde über einen Betrag von 20 Millionen Dollar spekuliert. Eine Quelle behauptet, dass Chandler und June Chandler Schwartz je 2 Millionen bekommen haben, während Feldman bis zu 25 % an Anwaltsgebühren erhalten hat. Der Rest des Geldes wurde für den Jungen hinterlegt und wird ihm unter Aufsicht vom Gericht gestellter Treuhänder ausgezahlt werden.

"In diesem Fall ging es immer nur um Geld", sagt Pellicano, "und Evan Chandler hat schließlich bekommen, was er wollte." Da Chandler immer noch das Sorgerecht für seinen Sohn hat, ist es logisch, dass er immer noch Zugriff auf das Geld seines Sohnes hat.

Ende Mai 1994 gab Chandler die Zahnmedizin endgültig auf. Er schloss seine Praxis in Beverly Hills und gab als Grund die ständige Belästigung durch Jackson-Fans an. Die außergerichtliche Einigung verbietet es Chandler, über diese Angelegenheit zu schreiben, aber sein Bruder, Ray Charmatz, versucht angeblich, einen Vertrag über ein Buch zu bekommen.

Es könnte zu einem dieser niemals endenden Rechtsstreits werden, denn in diesem August reichten Barry Rothman und Dave Schwartz (zwei Hauptdarsteller, die bei der außergerichtlichen Einigung leer ausgingen) Zivilklage gegen Jackson ein. Schwartz behauptet, der Sänger hätte seine Familie zerstört. Rothmanns Klage beruht auf angeblicher Verleumdung durch Jackson sowie sein Verteidigungsteam - Fields, Pellicano und Weitzman - wegen der Erpressungsanschuldigung.

"Die Anschuldigung wegen [Erpressung] ist völlig unwahr", sagt Rothmans Anwalt Aitken. "Mr. Rothman wurde öffentlich der Lächerlichkeit preis gegeben, wurde Opfer einer Untersuchung durch die Polizei und musste Einkommenseinbußen hinnehmen". (Eine von Rothmans Einbußen ist wahrscheinlich das hohe Honorar, das er bekommen hätte, wenn er während der Einigungsphase weiter für Chandler gearbeitet hätte.)

Soweit es um Michael Jackson geht, "er lebt sein Leben weiter", sagt sein Pressesprecher Michael Levine. Jetzt verheiratet, hat Jackson kürzlich drei neue Songs für ein Greatest Hits Album aufgenommen und nahm ein neues Musikvideo mit dem Titel ‚"History" auf.

Und was wurde aus den massiven Ermittlungen gegen Jackson? Nachdem Millionen von Dollars durch die Staatsanwaltschaft und die Polizeibehörde ausgegeben worden waren, und nachdem zwei Grand Jurys nahezu 200 Zeugen befragt hatten, einschließlich 30 Kinder, die Jackson kannten, und nicht ein einziger Zeuge konnte die Beschuldigungen bekräftigen. (Im Juni 1994 flogen drei Staatsanwälte und zwei Ermittler der Polizei immer noch in der Hoffnung, einen Belastungszeugen zu finden, wieder nach Australien, um Wade Robson nochmals zu befragen. dem Jungen, der zugegeben hatte, mit Jackson in einem Bett zu schlafen. Nochmals erklärte der Junge, dass nichts dabei passiert war.)

Die einzigen Anschuldigungen gegen Jackson blieben die eines einzigen Jugendlichen, und auch das nur, nachdem ihm eine hypnotische Droge verabreicht worden war, die ihn der Macht der Beeinflussung auslieferte.

"Ich hielt diesen Fall für verdächtig", sagt Dr. Underwager, der Psychiater aus Minneapolis, "einfach deshalb, weil es nur um einen Jungen ging. Das wäre höchst unwahrscheinlich gewesen. Wirkliche Pädophile haben durchschnittlich 240 Opfer im Laufe ihres Lebens. Es handelt sich hier um eine fortschreitende Krankheit. Sie sind nie befriedigt."

Bei der äußerst dünnen Beweislage gegen Jackson scheint es unwahrscheinlich, dass er für schuldig befunden worden wäre, wenn der Fall vor Gericht gegangen wäre. Aber vor der Meinung des Volkes gibt es keine Beschränkungen. Den Leuten ist es freigestellt zu spekulieren, wie immer sie wollen, und Jacksons Exzentrizität macht ihn verwundbar, so dass die Öffentlichkeit das Schlimmste über ihn annimmt.

Es ist also wahrscheinlich, dass Jackson kein Verbrechen begangen hat - dass er genau das ist, was er immer vorgab zu sein: ein Beschützer der Kinder und nicht ihr Belästiger.

Michael Freeman ist dieser Meinung. "Ich glaube, dass Jackson nichts Schlimmes getan hat, und dass diese Leute [Chandler und Rothman] eine Chance gewittert haben. Ich glaube, es ging nur um Geld."

Für viele Beobachter zeigt die Michael Jackson Story die Gefährlichkeit von Anschuldigungen auf, gegen die es oft keine Verteidigung gibt - besonders dann, wenn die Beschuldigungen den sexuellen Missbrauch von Kindern beinhalten. Für andere ist nun noch etwas anderes klar: Dass die Polizei und die Anklagebehörde Millionen von Dollar ausgegeben haben, um einen Fall zu konstruieren, den es nie gegeben hat.



Original in Englisch:

One of the Most Shameful Episodes In Journalistic History

http://www.huffingtonpost.com/charles-thomson/one-of-the-most-shameful_b_610258.html

 

 Eine beschämende Episode in der Mediengeschichte:


Es ist heute 5 Jahre her, dass 12 Juroren Michael Jackson uneingeschränkt von den verschiedenen Anklagepunkten der Kindesbelästigung, der Verschwörung und der Gabe von Alkohol an ein minderjähriges Kind freisprachen. Schwer zu beurteilen, wie der Michael Jackson-Prozess in die Geschichte eingehen wird. Vielleicht als ein klassisches Beispiel westlichen Promikults. Vielleicht als ein Beispiel für Lynchen im 21. Jahrhundert. Ich persönlich denke, er wird als die abscheulichste Episode des Journalismus in Erinnerung bleiben.

Erst wenn man sich durch die Zeitungsarchive gewühlt und Stunden von Fernsehberichten gesehen hat, wird man das wirkliche Ausmaß des Fehlverhaltens der Medien erkennen. Es war flächendeckend. Zweifelsohne gab es Reporter, Zeitungen und TV-Sender, die ganz offensichtlich auf Seiten der Anklage standen, aber viele der Fehlleistungen der Medien waren systembedingt. Wie gibt man in einem Medienbetrieb, der stets auf der Suche nach knappen, eingängigen Phrasen ist, 8 Stunden Zeugenbefragung in 2 Sätzen korrekt wieder? Wie widersteht man in einer Zeit sich überschlagender Nachrichten und konstanten Bloggens der Versuchung, bei der erstmöglichen Gelegenheit aus dem Gerichtssaal zu rennen und über die neuesten sensationslüsternen Beschuldigungen zu berichten, auch wenn dies bedeutet, einen Teil der Zeugenbefragungen des Tages zu verpassen?

Wenn ich auf den Michael Jackson-Prozess zurückblicke, sehe ich eine außer Kontrolle geratene Medienlandschaft. Man kann sich kaum vorstellen, welcher Abgrund an Propaganda, Voreingenommenheit, Verzerrung und Fehlinformation sich da auftat. Ein Vergleich der Gerichtsakten mit den Zeitungsberichten macht deutlich, dass der Prozess, so wie er der Öffentlichkeit präsentiert wurde, so gar nichts mit den Ereignissen zu tun hatte, die im Gerichtssaal stattfanden. In den Protokollen findet sich eine schier endlose Liste von zwielichtigen Zeugen der Anklage, die sich in Widersprüche verwickelten und von denen beinahe stündlich einer unter dem Kreuzverhör zusammenbrach. Presse und Fernsehen berichteten täglich über die abscheulichsten Anschuldigungen und schmutzigsten Unterstellungen.

Es war der 18. November 2003, als 70 Sheriffs in Michael Jacksons Neverland Ranch eindrangen. Unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Nachricht änderten die Nachrichtensender ihr Programm und gingen zur 24-Stunden-Berichterstattung über. Als sich andeutete, dass Jackson beschuldigt wurde, den krebskranken Jungen Gavin Arvizo belästigt zu haben, der bekannterweise die Hand Jacksons in Martin Bashirs Dokumentation "Living with Michael Jackson" gehalten hatte, gerieten die Medien außer Kontrolle. Fernsehsender waren so besessen vom Jackson-Skandal, dass über einen Terroranschlag in der Türkei so gut wie gar nicht berichtet wurde, nur CNN war die gemeinsame Pressekonferenz von George Bush und Tony Blair zum Vorfall eine Meldung wert.

       

Die drei größten amerikanischen Nachrichtensender brachten sofort mehrstündige TV-Specials zum Jackson-Fall, obwohl zu dem Zeitpunkt außer der Tatsache, dass es Anschuldigungen gab, nichts bekannt war, und auch die Staatsanwaltschaft keine Fragen beantwortete.
CBS widmete dem Thema eine Episode von '48-Hours Investigates', NBCs Dateline und ABCs 20/20 brachten ebenfalls in kürzester Zeit Jackson-Sondersendungen. In den zwei Tagen der Neverland-Razzia, noch bevor Michael Jackson überhaupt verhaftet wurde, kündigte der Sender VH1 eine halbstündige Dokumentation mit dem Titel "Der Michael Jackson-Sexskandal" an.

Die Zeitung 'Daily Variety' beschrieb die Jackson-Story als "ein Gottesgeschenk für die Medien, wobei speziell die nationalen und lokalen TV-Sender darauf hofften, auf diese Weise in der so wichtigen letzten Novemberwoche Rekord-Einschaltquoten zu erzielen."

Daily Variety hatte Recht. Die Quoten der Promi-Klatsch-Sender schnellten in die Höhe, als die Jackson-Story einschlug. Die Einschaltquoten des Promi-TV-Magazins 'Access Hollywood' übertrafen die der Vorwoche um 10%. Die Konkurrenten 'Entertainment Tonight' und 'Extra' erzielten die höchsten Einschaltquoten der Saison und 'Celebrity Justice' konnte sich über einen Anstieg von 8% freuen.

Zeitungen reagierten ebenso hysterisch wie TV-Stationen: "Pervers!" titelte die New York Daily News. Mit "J.A.C.K.O: Nun bist Du dran" schlug die Schlagzeile der New York Post in die gleiche Kerbe.

'The Sun', Großbritanniens größte Zeitung, brachte einen Artikel mit der Schlagzeile "He's Bad (er ist schlecht), He's Dangerous (er ist gefährlich), He's history (er ist Geschichte)". Das Blatt brandmarkte Jackson als einen "Ex-Schwarzen Ex-Superstar", einen "Freak" und ein "verrücktes Individuum" und rief dazu auf, Jacksons Kinder in Sicherheit zu bringen. "Wenn er nicht ein Pop-Idol mit einem Haufen Geld wäre, dann wäre er schon Jahre zuvor weggesperrt worden."

Angestachelt vom Anstieg der Zuschauerzahlen durch den Jackson-Skandal, machten es sich die Medien zu ihrer Mission, die Story bis aufs Äußerste auszuschlachten. Tom Sinclair vom Magazin 'Entertainment Weekly': "Medienvertreter vom schmutzigsten Schmierenreporter bis zum angesehensten Nachrichtenjournalisten überschlugen sich, Material zusammenzutragen, um Kolumnenspalten und Sendezeit mit J.A.C.K.O-Exklusivmeldungen und Talkrunden zu füllen".

"Der Druck auf die Presseleute ist enorm," so Anwalt Harland Braun zu Sinclair. "So fühlen sich Rechtsanwälte, von denen Du vorher nie gehört hattest, berufen, im TV über einen Fall zu sprechen, den sie überhaupt nicht kennen."

Sinclair fügt hinzu, "Und nicht nur Rechtsanwälte. Jeder, vom Arzt, Journalisten, Psychiater bis zum Supermarktverkäufer, der Jackson mal bedient hat, meint, dies genügt, sich über Jackson im Fernsehen und in der Zeitung äußern zu können.

Die Medien hatten vollauf damit zu tun, jede Menge selbsternannter Experten und Leute, die nicht zum engeren Bekanntenkreis Jacksons gehörten, nach ihrer Meinung zum Skandal zu befragen. Unterdessen bediente sich das Team der Staatsanwaltschaft im Fall Jackson fragwürdiger Methoden, aber die Medien kümmerte dies anscheinend nicht.

Während der Neverland-Razzia überschritt Bezirks-Staatsanwalt Tom Sneddon, der Jackson bereits 1993 erfolglos strafrechtlich verfolgt hatte, seine Befugnisse, als seine Mitarbeiter in Jacksons Büro eindrangen und eine Unmenge an Geschäftsunterlagen beschlagnahmten, die für den Fall aber keinerlei Bedeutung hatten. Zudem drangen sie illegalerweise ins Büro eines Mitarbeiters des Verteidigungs-Teams ein und entfernten für Jackson entlastendes Material aus dem Haus seines persönlichen Assistenten.

 

Sneddon schien außerdem jedes Mal grundlegende Bestandteile seines Falles zu verfälschen, wenn Beweise ans Licht kamen, die die Behauptungen der Arvizos als unwahr erscheinen ließen. Als er z.B. auf zwei Video-Interviews stieß, in denen die komplette Arvizo-Familie Lobgesänge auf Jackson sang und jeden Missbrauch verneinte, erhob er Anklage wegen Verschwörung und machte geltend, dass die Familie gezwungen worden sei, die Unwahrheit zu sagen.

In einem ähnlichen Beispiel erklärte Jacksons Anwalt Mark Geragos im Januar 2004 gegenüber NBC, Jackson habe ein "wasserdichtes Alibi" hinsichtlich der Daten im Anklageprotokoll. Bis Jackson zu den Verschwörungsvorwürfen im April vernommen wurde, waren die Daten zur Kindesbelästigung in vorherigen Fällen um fast zwei Wochen verschoben worden.

Sneddon wurde später beim offensichtlichen Fälschen von Fingerabdruckbeweisen gegen Jackson erwischt, als er dem Ankläger Gavin Arvizo während des Grand-Jury-Verhörs Pornohefte in die Hand gab, sie dann in einen Umschlag packte und versendete, um die Fingerabdrücke untersuchen zu lassen.

Nicht nur, dass Medien in ihrer Mehrzahl über diese fragwürdigen und bisweilen auch illegalen Aktivitäten der Anklageseite hinwegsahen, man schien offensichtlich Gefallen daran zu finden, der vernichtenden Propaganda der Anklageseite ständig neuen Stoff zu geben, obwohl keinerlei unterstützendes Beweismaterial existierte. Zum Beispiel trat TV-Reporterin Diane Dimond Tage nach Jacksons Festnahme in 'Larry King Live' auf und erwähnte wiederholt einen Stapel Liebesbriefe, die der Star angeblich Gavin Arvizo geschrieben habe.

"Weiß irgendjemand hier von der Existenz dieser Briefe?" fragte King.
"Ohne jeden Zweifel", antwortete Dimond. "Ich weiß es. Ich bin mir 100% sicher, dass es sie gibt!"
"Diane, haben Sie sie gelesen?"
"Nein, ich habe sie nicht gelesen."

Dimond gab zu, die Briefe nie gesehen zu haben, sie nie gelesen zu haben, berief sich aber auf "zuverlässige Rechtsquellen". Aber diese Liebesbriefe hat nie jemand zu Gesicht bekommen. Als Dimond sagte, sie sei sich "hundertprozentig sicher", was deren Existenz betreffe, stützte sie ihre Aussage einzig auf Äußerungen aus Polizeikreisen. Bestenfalls dienten die Polizeiquellen dazu, die Glaubwürdigkeit der Arvizo-Vorwürfe zu untermauern, schlimmstenfalls entstand aus ihnen eine Story, die nur dazu diente, Jacksons Namen zu besudeln. So oder so, die Geschichte ging um die Welt, ohne dass es auch nur den geringsten Beweis dafür gab.

Es war über ein Jahr nach Jacksons Festnahme und dem Beginn seines Prozesses, und die Medien versuchten alles, um die Story in der Zwischenzeit auszukochen. Wohlwissend, dass es Michael Jackson gerichtlich untersagt war, sich in der Öffentlichkeit zu den Vorwürfen zu äußern, ließen der Anklage nahestehende Personen Dokumente, wie das Jordan Chandler Polizeistatement von 1993, durchsickern. Die Medien waren hungrig nach Skandalen und Sensationen und stürzten sich darauf.

Zur gleichen Zeit wurden Beschuldigungen, die in den 90ern von verdrossenen Ex-Angestellten an die TV-Sender verkauft worden waren, wieder aufgewärmt und als Neuigkeiten präsentiert. Einige Details der Arvizo-Beschuldigungen sickerten ebenso regelmäßig durch.

Während die meisten Medien diese Storys als Behauptungen und nicht als Fakten präsentierten, hatten Anzahl und Häufigkeit solcher Geschichten, die Jackson mit dem hässlichen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs in Verbindung brachten, einen verheerenden Einfluss auf das Image des Stars, auch deswegen, weil es ihm unmöglich gemacht wurde, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

    

Die Verhandlung begann Anfang 2005 mit der Auswahl der Jury. Von NBC über die Juryauswahl seitens der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung befragt, sagte Dimond, der Unterschied sei, dass die Staatsanwaltschaft nach Jurymitgliedern suche, die eine Ahnung von "Gut und Böse" hätten und die Recht und Unrecht unterscheiden könnten.

Die Juroren waren kaum ausgewählt, da versuchte Newsweek ihre Autorität schon mit dem Argument zu untergraben, dass eine Jury aus der Mittelschicht die Kläger-Familie Arvizo aus der Unterschicht wohl kaum fair beurteilen könne. In dem Newsweek-Artikel "Die Klassenkarte ausspielen" stand zu lesen: "Der Jackson-Fall könnte von etwas anderem abhängen als Rassenfragen. Und damit meinen wir nicht die Beweise."

Als die Verhandlung in Gang kam, war sehr schnell klar, dass der Rechtsfall sehr viele Lücken aufwies. Der einzige "Beweis" der Staatsanwaltschaft waren ein paar Pornohefte für Heterosexuelle und ein paar legale Kunstbücher. Thomas Mesereau schrieb in einem Antrag: "Die Anstrengungen, Mr. Jackson dafür vor Gericht stellen zu wollen, die größte Bibliothek der Welt zu besitzen, sind alarmierend. Seit den Zeiten des Nazi-Regimes vor knapp 75 Jahren hat es das nicht mehr gegeben, dass jemand unter dem Vorwand, der Besitz von Büchern bekannter Künstler stelle den Beweis für ein Staatsverbrechen dar, strafrechtlich verfolgt wurde."

Gavin Arvizos Bruder Star ging früh in den Zeugenstand und sagte, er könne zwei Fälle von Missbrauch bezeugen, aber seine Aussagen waren vollkommen widersprüchlich. Betrachtet man den einen Fall des Missbrauchs, so sagte er vor Gericht aus, Jackson habe Gavin liebkost. In einer früheren Aussage hatte er den Vorfall noch ganz anders beschrieben und angegeben, Jackson habe seinen Penis an Gavins Gesäß gerieben. Auch zu den anderen Vorwürfen machte er vor Gericht an zwei aufeinander folgenden Tagen zwei verschiedene Aussagen.

Während des Kreuzverhörs zeigte Jacksons Anwalt Thomas Mesereau dem Jungen ein Exemplar der Pornofilmreihe 'Barely Legal' und befragte ihn wiederholt, ob das die Ausgabe sei, die Jackson ihm und seinem Bruder gezeigt habe. Der Junge bestand darauf, dass es so war, woraufhin Mesereau darlegte, dass die fragliche Ausgabe erst im August 2003 erschienen war, fünf Monate nachdem die Arvizo-Familie Neverland verlassen hatte.

Aber diese Information ging nahezu völlig unter. Die Medien richteten ihr Augenmerk lieber auf die Anschuldigungen des Jungen als auf das Kreuzverhör, das sie widerlegte. Anschuldigungen sind immer für griffige Schlagzeilen gut, ein komplexes Kreuzverhör nicht.

Als Gavin Arvizo aussagen sollte, behauptete er, Jackson habe den ersten Missbrauch initiiert mit den Worten, Jungen müssten masturbieren, sonst würden sie zu Vergewaltigern. Allerdings hatte der Junge, dies bewies Mesereau im Kreuzverhör, bei vorangegangenen Befragungen angegeben, dass diese Äußerung von Gavins Großmutter stammte, nicht von Jackson. Damit war klar, dass die ganze Anklage auf einer Lüge aufbaute.

Im Kreuzverhör schadete der Junge der Verschwörungs-Theorie der Staatsanwaltschaft sehr mit seiner Aussage, er habe auf Neverland niemals Angst gehabt und habe auch nie von dort weg gewollt. Auch wichen seine Aussagen zum angeblichen Missbrauch von denen seines Bruders ab.

 

Unglücklicherweise für Jackson wurde das Kreuzverhör von den Medien praktisch komplett ignoriert, da die Presse viel lieber darüber berichtete, dass Jackson an diesem Tag in Schlafanzughosen vor Gericht erschien. Dafür muss man wissen, dass Michael Jackson am ersten Tag der Vernehmung Gavins in seiner Dusche ausrutschte, Lungenquetschungen erlitt und ins Krankenhaus gebracht werden musste.

Als Richter Rodney Melville Jackson mit einer Zwangsvorladung drohte, wenn er nicht binnen einer Stunde erschiene, beeilte sich Jackson und kam in den Pyjamahosen zum Gericht, die er getragen hatte, als er ins Krankenhaus gebracht wurde.

Die Fotos von Jackson im Pyjama gingen um die Welt, oftmals ohne seine Verletzung zu erwähnen oder den Grund, warum er den Pyjama trug. Viele Journalisten unterstellten ihm, das Ganze inszeniert zu haben, um Mitleid zu erregen. Obgleich "Mitleid“ die letzte Vokabel wäre, die einem einfallen würde, um die Reaktionen der Medien zu beschreiben.

Der Vorfall schreckte die Medien nicht davon ab, die entsetzlichen Aussagen des Jungen am nächsten Tag rund um den Globus zu schicken. Manche stellten die Aussage des Jungen sogar als Tatsache dar und nicht als Mutmaßung. "Er sagte, dass Jungen möglicherweise zu Vergewaltigern werden, wenn sie es nicht tun - Krebskranker Junge Gavin Arvizo erzählt dem Gericht über ***** Sex", so titelte der englische „Mirror“.

Sobald es aber um das Kreuzverhör des Jungen ging, sah die Sache schon wieder ganz anders aus. Es wurde weitestgehend nicht darüber berichtet. Anstatt Storys über die Lügen Gavins und die widersprüchlichen Aussagen der beiden Jungen zu bringen, waren die Zeitungen voller abfälliger Bemerkungen über Jacksons Pyjama, obwohl der "Pyjama-Tag" schon Tage vorher durch war. Tausende von Worten wurden verschwendet darauf, ob Jackson nun eine Perücke trug oder nicht und die Sun brachte sogar einen Artikel, in dem sie Jackson wegen seiner Anhänger, die er an seiner Weste trug, angriff. Die Presse schien gewillt, alles zu schreiben, um nicht vom Kreuzverhör berichten zu müssen, das die Argumentation der Staatsanwaltschaft schwer ins Wanken brachte.

Von widerlichen Anschuldigungen zu berichten, aber das Kreuzverhör auszulassen, das sie selbst in Misskredit gebracht hätte, war eine Taktik, die sich wie ein roter Faden durch den gesamten Prozess zog. Im April 2005 erklärte der Fox-Kolumnist Roger Friedman in einem Interview bei Radiomoderator Matt Drudge: "Nicht berichtet wird, dass das Kreuzverhör diesen Zeugen in der Regel das Genick bricht." Sobald etwas Obszönes oder Dramatisches über Jackson gesagt wurde, stürzten sich die Medien draußen darauf, um darüber zu berichten, beim anschließenden Kreuzverhör waren sie schon nicht mehr dabei.

Drudge stimmte zu und ergänzte: "Du bekommst gar nicht so schnell mit, wie sich ein Zeuge nach dem anderen in Luft auflöst. Es hat in der letzten Zeit nicht mal einen Zeugen gegeben, der nicht gestanden hat, in früheren Verfahren - entweder in diesem oder in einem anderen Fall - einen Meineid geleistet zu haben."

Dieser alarmierende Trend, das Kreuzverhör zu ignorieren, war wohl am augenscheinlichsten in der Berichterstattung über Kiki Fourniers Aussage. Beim direkten Verhör durch die Staatsanwaltschaft bezeugte Fournier - eine Haushälterin in Neverland - dass Kinder, die Neverland besuchten, oft über die Stränge schlugen. Sie hätte manchmal Kinder gesehen, die so hyperaktiv gewesen seien, dass sie durchaus betrunken gewesen sein könnten. Die Medienvertreter rannten nach draußen, um über diese vermeintliche Sensation zu berichten und verpassten so eine der für den gesamten Prozess wichtigsten Zeugenaussagen.

 

Beim Kreuzverhör durch Thomas Mesereau sagte Fournier aus, dass während der letzten Wochen der Familie Arvizo auf Neverland – die Zeitspanne, in der die Belästigungen angeblich begonnen hätten - die Gästezimmer der beiden Jungen ständig in Unordnung waren, und sie schloss daraus, dass die Jungen in ihren eigenen Zimmern schliefen und nicht in Jacksons Schlafzimmer.

Sie sagte auch aus, dass Star Arvizo, Gavin's Bruder, einmal in der Küche ein Messer zog. Für Fournier sah das nicht nach einem Spaß aus und sie vermutete, er "wolle damit seine Macht demonstrieren".

Es war ein verheerender Schlag gegen die Staatsanwaltschaft, deren Verschwörungsanklage zunehmend zur Lachnummer verkam, als sich Fournier über die Annahme amüsierte, irgendwer könne unfreiwillig auf Neverland gefangen gehalten werden. Sie erklärte den Geschworenen, dass es um das Grundstück keinen hohen Zaun gab und dass die Familie zu jeder Zeit "mit Leichtigkeit" hätte gehen können.

Als Janet Arvizo, die Mutter von Gavin und Star, als Zeugin vernommen werden sollte, ahnte Tom Sneddon schon Schlimmes. Sie sagte aus, dass ihr die Aussagen in einer Videoaufnahme von ihr und ihren Kindern, in der sie Jackson priesen, Wort für Wort von einem Deutschen, der jedoch kaum Englisch sprach, vorgeschrieben worden wären. Ausschnitte zeigten, wie sie Jackson in den höchsten Tönen lobte und dann geniert schaute und fragte, ob sie aufgenommen würde. Sie sagte, dass auch das ihr vorher aufgeschrieben worden sei.

Sie sagte aus, sie sei auf Neverland gefangen gehalten worden, obwohl Einträge ins „Logbuch“ zeigten, dass sie die Ranch dreimal während ihrer "Gefangenhaltung" verlassen hatte und zurückgekommen war. Ans Licht kam auch, dass gegen sie zu diesem Zeitpunkt wegen Sozialbetrugs ermittelt wurde und dass sie außerdem wegen der Krankheit ihres Sohnes unberechtigterweise staatliche Unterstützung bekam, obwohl die Kosten bereits durch die Krankenversicherung abgedeckt waren.

Selbst die glühendsten Unterstützer der Staatsanwaltschaft mussten zugeben, dass Janet Arvizo eine katastrophale Zeugin der Anklage war. Außer Diane Dimond, die im März 2005 Janet Arvizos Sozialbetrug (sie wurde nach dem Prozess gegen Jackson verurteilt) als allumfassenden Beweis für Jacksons Schuld zu nutzen schien. Sie schrieb einen schockierenden Artikel in der New York Post mit der Überschrift "Pädophile sind nicht auf der Suche nach Kindern aus Heile-Welt-Familien."

Als die Staatsanwaltschaft sah, dass ihre Argumentation mehr und mehr in sich zusammenfiel, wandte sie sich an den Richter und bat, auch Beweise aus "früheren schlechten Taten" zuzulassen. Ihr wurde die Erlaubnis erteilt. Die Staatsanwaltschaft teilte der Jury mit, dass sie Aussagen von fünf früheren "Opfern" hören würden. Aber diese fünf Fälle stellten sich als noch mehr an den Haaren herbeigezogen heraus als der Arvizo-Fall.

Ganze Heerscharen verärgerter Sicherheitsleute und Hauspersonals traten in den Zeugenstand, um auszusagen, dass sie Zeugen einer Belästigung gewesen seien, hauptsächlich an drei Jungen: Wade Robson, Brett Barnes und Macauley Culkin. Aber diese drei Jungen waren die ersten Zeugen der Verteidigung, und jeder von ihnen sagte aus, dass Jackson sie niemals angefasst habe und waren verärgert darüber, dass jemand überhaupt so denken konnte.

 

Außerdem kam heraus, dass jeder dieser früheren Angestellten entweder von Jackson wegen Diebstahls entlassen worden war oder einen Prozess wegen ungerechtfertigter Kündigung verloren hatte, mit dem Ergebnis, dass sie Jackson erhebliche Geldsummen schuldeten. Sie hatten es auch versäumt, der Polizei zu erzählen, wann sie Fälle von Kindesbelästigung beobachtet haben wollten. Sogar zum 1993er Chandler-Fall hatten sie nichts zu erzählen, obwohl sie danach versuchten hatten, der Presse entsprechende Storys anzubieten - manchmal mit Erfolg. Je mehr Geld im Spiel war, desto obszöner wurden die Anschuldigungen.

Roger Friedman beklagte in einem Interview mit Matt Drudge, dass der Umstand, dass diese Zeugen ins Kreuzverhör genommen wurden, in den Medien keinerlei Widerhall fand, die Berichterstattung war einseitig geworden. Friedman: "Als es am Donnerstag losging, begann die erste Stunde mit Ralph Chacon, jemand, der auf der Ranch als Wachmann gearbeitet hatte. Er erzählte eine ganz abscheuliche Geschichte. Mit ganz plastischen Worten. Und natürlich rannte jeder nach draußen, um darüber zu berichten. Aber da waren noch die zehn Minuten direkt vor der ersten Pause am Donnerstag, als Tom Mesereau Chacon ins Kreuzverhör nahm und ihn platt machte."

Das vierte "Opfer", Jason Francia, ging in den Zeugenstand und behauptete, dass Jackson ihn als Kind bei drei verschiedenen Gelegenheiten belästigt habe. Als man ihn zu Einzelheiten dieser "Belästigung" befragte, gab er zu Protokoll, Jackson habe ihn dreimal durch die Kleidung hindurch gekitzelt und er habe jahrelang Therapie gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Die Jury verdrehte die Augen, aber die Journalisten, darunter der MSNBC-Korrespondent Dan Abrams, verkündeten, Francia sei "überzeugend" und prophezeiten, dass er der Zeuge sein könne, der Jackson hinter Gitter bringen könnte.

Die Medien behaupteten wiederholt, dass die Anschuldigungen Francias schon 1990 gemacht wurden, damit die Zuhörer glaubten, dass die Anschuldigungen Jordy Chandlers vordatiert seien. Obwohl Jason Francia zufolge die sexuelle Belästigung im Jahr 1990 stattfand, berichtete er erst darüber, als der Mediensturm über Chandlers Vorwürfe losbrach. Genau zu dem Zeitpunkt erhielt seine Mutter Blanca Francia (ein Dienstmädchen auf Neverland), prompt $ 20.000 von 'Hard Copy' für ein Interview mit Diane Dimond und weitere $ 2.4 Millionen im Rahmen einer Einigung mit Jackson.

Darüber hinaus zeigten Abschriften von Polizeivernehmungen, dass Francia seine Geschichte wiederholt verändert hatte. Ursprünglich hatte er immer beteuert, nie belästigt worden zu sein. Aus den Abschriften ging auch hervor, dass er nur aussagte, belästigt worden zu sein, nachdem die Polizisten während der Befragung wiederholt Grenzen überschritten hatten. Die Polizisten betitelten Jackson mehrmals als "Kindersch*nder". Einmal sagten sie dem Jungen, dass Jackson Macauley Culkin genau in dem Moment belästigen würde, als sie Francia vernahmen, und dass Culkin nur zu retten wäre, wenn Francia ihnen gestehe, dass er von Jackson sexuell missbraucht worden sei. Die Abschriften belegten auch, dass Francia zuvor über die Polizei gesagt hatte, "Sie wollten, dass ich mit Sachen rausrücke, sie haben gedrängt. Ich wollte ihnen nicht nach dem Mund reden."

Das fünfte "Opfer" war Jordy Chandler, der lieber außer Landes gegangen war, anstatt gegen seinen ehemaligen Freund auszusagen. Thomas Mesereau sagte später in diesem Jahr in einem Vortrag in Harvard: "Die Anklage versuchte ihn dazu zu bringen, vor Gericht zu Erscheinen, aber er wollte nicht. Wäre er gekommen, hätte ich Zeugen gehabt, die bezeugen konnten, dass Chandler ihnen gegenüber erwähnt habe, dass nie etwas passiert sei und dass er nie wieder mit seinen Eltern reden wolle, für das, was sie ihn zwangen auszusagen. Er wäre vor Gericht gegangen und hätte dort die rechtliche Unabhängigkeit von seinen Eltern erwirkt."

 

June Chandler, Jordys Mutter, sagte aus, sie habe 11 Jahre nicht mit ihrem Sohn gesprochen. Nach dem 1993er Fall befragt, schien sie an einem schweren Fall selektiver Wahrnehmung zu leiden. Einmal behauptete sie, sie könne sich nicht erinnern, von Michael Jackson verklagt worden zu sein, ein anderes Mal sagte sie, noch nie von ihrem eigenen Anwalt gehört zu haben. Sie war auch nie Zeugin irgendwelcher sexuellen Belästigung.

Wenn die Anklage pausierte, schienen die Medien das Interesse an der Verhandlung zu verlieren. Der Argumentation der Verteidigung wurde vergleichsweise wenig Raum in den Zeitungen und Übertragungen gegeben. Die Zeitschrift 'Hollywood Reporter', die ansonsten kontinuierlich über den Jackson-Prozess berichtete, verpasste zwei ganze Wochen, in denen die Verteidigung ihre Argumente vortrug. Die Haltung schien so zu sein, dass - sofern die Aussagen nicht drastisch und schlüpfrig waren und damit für eine Schlagzeile gut - es nicht wert war, darüber zu berichten.

Die Verteidigung rief zahlreiche sehr wichtige Zeugen auf; Jungen und Mädchen, die immer wieder mit Jackson Zeit verbracht und noch nie unangemessenes Verhalten bemerkt hatten, Mitarbeiter, die gesehen hatten, wie sich die Arvizo-Jungen in Jacksons Abwesenheit selbst mit Alkohol versorgten und andere Prominente, bei denen die Ankläger ebenfalls um Almosen gebettelt hatten. Aber wenig von diesen Aussagen kam an die Öffentlichkeit. Als Bezirks-Staatsanwalt Tom Sneddon den schwarzen Komiker Chris Tucker während seines Kreuzverhörs als "Bübchen" bezeichnete, entlockte das den Medien nicht mal ein Wimpernzucken.

Als beide Seiten pausierten, wurde den Juroren gesagt, dass sie Jackson freisprechen müssten, wenn sie begründete Zweifel an den Anklagepunkten hätten. Jeder, der das Verfahren aufmerksam verfolgt hatte, konnte sehen, dass die Anschuldigungen so abstrus waren, dass es nicht mehr lustig war. Fast jeder einzelne Zeuge der Anklage leistete entweder selbst Meineid oder half durch seine Aussagen der Verteidigung. Es gab nicht die Spur eines Beweises dafür, dass Jackson eine Straftat begangen hatte, und es gab auch keinen einzigen glaubwürdigen Zeugen dafür.

Aber das hielt Journalisten und Experten nicht davon ab, Jackson bereits im Vorfeld schuldig zu sprechen. CNNs Giftspritze Nancy Grace führte das Feld an. Verteidiger Robert Shapiro, der einst die Familie Chandler vertreten hatte, behauptete felsenfest auf CNN: "Er wird verurteilt werden." Ex-Staatsanwalt Wendy Murphy zu Fox News: "Keine Frage, wir werden hier Verurteilungen zu sehen bekommen."

So hysterisch die Fans vor dem Gerichtsgebäude waren, so aufgeregt waren die Reporter, die sich im Saal Sitzplätze gesichert hatten, und Richter Rodney Melville wies sie an, sich zu "mäßigen". Thomas Mesereau sagte rückblickend, dass die Medien schon darüber gegeifert hätten, dass sie Jackson zum Gefängnis geschleift hätten.

Als die Jury Jackson in allen 14 Anklagepunkten 'nicht schuldig' sprach, waren die Medien "gedemütigt", sagte Mesereau in einem späteren Interview. Medien-Analyst Tim Rutten kommentierte später: "Also, was passierte, als Jackson in allen Anklagepunkten freigesprochen wurde? Rote Gesichter? Sich die Angelegeheit noch einmal durch den Kopf gehen lassen? Zur Abwechslung mal in sich gehen? Vielleicht ein Ausdruck des Bedauerns darüber, Jackson so schnell vorverurteilt zu haben? Nein. Stattdessen war die Reaktion Wut, reichlich gespickt mit Verachtung und dem Ausdruck des Nicht-Glauben-Könnens. Zielscheibe waren die Juroren...Die Hölle kann nicht so wüten wie die unersättliche Medien-Meute, wenn sie dich in ihren Klauen hat."

 

In einer Pressekonferenz nach dem Urteil bezeichnete Sneddon weiterhin Gavin Arvizo als "Opfer" und deutete an, der "Promi-Faktor" habe die Jury in ihrer Urteilsfähigkeit beeinträchtigt - eine Sprachregelung, die sich viele Medienexperten zu eigen machten, um die Autorität der Juroren und ihre Entscheidung zu untergraben.

Innerhalb von Minuten nach der Ankündigung erschien Nancy Grace in der Gerichtsshow 'CourtTV' und behauptete, dass die Juroren von Jacksons Ruhm geblendet worden seien, und sie stellte die bizarre Behauptung auf, dass das einzige schwache Glied der Anklage Janet Arvizo gewesen sei.

"Ich habe gerade eine Kröte zu schlucken", sagte sie. "Dass mir das schmeckt, kann ich nicht behaupten. Aber wissen Sie was? Ich bin auch nicht überrascht. Ich dachte mir schon, dass die Berühmtheit ein so großer Faktor ist. Wenn man denkt, man kennt jemanden, weil man seine Konzerte gesehen, seine Musik gehört, seine Texte gelesen hat und glaubt, sie seien von Herzen gekommen…Obwohl er kein einziges Mal in den Zeugenstand berufen wurde, verbreitet Jackson großes Charisma. Das hat eine Wirkung auf die Jury."

"Ich werde keinen Stein auf die Mutter werfen, obwohl ich denke, dass sie das schwache Glied in diesem Fall war, aber das überrascht mich nicht. Ich dachte, dass die Jury zu Gunsten der Zeugen abstimmen würde, die von angeblichen früheren Kindesbelästigungen berichteten. Anscheinend hat die Verteidigung sie mit dem Kreuzverhör der Mutter überrollt. Ich denke darauf läuft es hinaus, schlicht und einfach."

Nancy Grace gab später an, dass Jackson "nicht schuldig war nur, weil er berühmt sei" und wurde beobachtet, wie sie versuchte, Jury-Obmann Paul Rodriguez zur Aussage zu bewegen, er glaube, Jackson habe Kinder sexuell belästigt. Einer der Gäste von Grace, Psychoanalytikerin Bethany Marshall, erhob persönliche Angriffe gegen eine weibliche Jurorin und bezeichnete sie als "eine Frau, die kein Leben hat."

Drüben auf Fox News, brandmarkte Wendy Murphy Jackson als "den Kindersch*nder, an dem nichts haften bleibt, wie an einer Teflon-Pfanne" und sagte, dass es nötig sei, die Juroren IQ-Tests zu unterziehen. Später fügte sie hinzu: "Ich bin überzeugt, ausschlaggebend ist der Promi-Faktor, nicht die Beweislage. Ich glaube nicht, dass die Juroren auch nur einen Schimmer davon haben, wie sehr sie durch den Status von Michael Jackson beeinflusst wurden... Sie haben im Grunde alle Kinder, die von nun an in Michael Jacksons Leben treten werden, zu Freiwild gemacht, insbesondere die am meisten gefährdeten."

Rechts-Analytiker Jeffrey Toobin vertrat gegenüber CNN die Ansicht, bei den Aussagen zu früheren Fällen von Kindesbelästigung handle es sich um "schlagkräftige Beweise", auch wenn verschiedene Jungen, die im Zentrum dieser Aussagen standen, als Zeugen der Verteidigung auftraten und bestritten hatten, jemals belästigt worden zu sein. Er behauptete auch, dass die Verteidigung nur gewonnen hatte, weil es ihr gelungen war, "Geschichten zu erzählen, und Juroren Geschichten immer besser verstehen als irgendwelche Einzelfakten."

Nur Robert Shapiro war angesichts der Urteile würdevoll und riet den Zuschauern, die Entscheidung der Juroren zu akzeptieren, weil die Juroren aus "einem sehr konservativen Teil Kaliforniens" stammten und "wenn diese keinen Zweifel hegen, sollte auch keiner von uns irgendwelche Zweifel haben."

Am folgenden Tag bekräftigte Diane Sawyer auf Good Morning America ihre Ansicht, dass das Urteil von Jacksons Promi-Status beeinflusst worden sei. "Sind Sie sicher?" so ihre eindringliche Frage: "Sind Sie sicher, dass dieser gigantisch berühmte Kerl, wenn er in den Raum kam, überhaupt keinen Einfluss hatte?"

Die 'Washington Post' kommentierte den Prozess: "Ein Freispruch wäscht ihn nicht rein, er trübt nur das Wasser." Sowohl die New York Post als auch die New York Daily News erschienen mit der abfälligen Überschrift "Boy, Oh, Boy!"

In ihrem abschließenden New York Post-Artikel über den Prozess äußerte Diane Dimond ihr Bedauern über den Freispruch und vertrat die Ansicht, dass Michael Jackson dadurch unantastbar geworden sei. Sie schrieb: "Er ging aus dem Gericht als freier Mann, nicht schuldig in allen Anklagepunkten. Aber Michael Jackson ist viel mehr als nur "frei". Er hat nun einen Freibrief, sein Leben so zu leben wie und mit wem immer er will, denn wer wird jetzt noch versuchen, ihn jemals wieder strafrechtlich zu verfolgen?"

 

In der britischen Tageszeitung 'The Sun' verfasste die überall präsente Society Expertin und Tratschtante Jane Moore einen Artikel mit dem Titel "Wenn die Jury sich einig ist, dass Janet Arvizo eine schlechte Mutter ist (und das IST sie)… Wieso ließen sie Jackson dann gehen?". Er begann damit: "Michael Jackson ist unschuldig. Gerechtigkeit wurde geschaffen. Zumindest wollen uns die Verrückten vor dem Gerichtsgebäude dies glauben machen." Sie fuhr damit fort, die Zurechnungsfähigkeit der Geschworenen in Frage zu stellen sei und schrieb das amerikanische Rechtssystem als "unausgegoren" ab. "Nichts und niemand geht hier als wirklicher Gewinner aus diesem jämmerlichen Durcheinander hervor," sagte sie abschließend, "am allerwenigsten das, was sie lächerlicherweise amerikanische "Gerechtigkeit" nennen."

Ally Ross, eine Kolumnistin der 'Sun' tat Jacksons Fans als "traurige, einsame Deppenköpfe" ab. Ein anderer Artikel der Sun, von Daytime-TV Moderatorin Lorraine Kelly verfasst, mit dem Titel "Vergiss die nach wie vor gefährdeten Kinder nicht….J.A.K.O.S. eigene", nannte Jackson unverhohlen einen schuldigen Mann. Kelly – die zu keiner Zeit beim Jackson-Prozess vor Ort war – beklagte, dass Jackson "ungestraft davonkommt", und beschwerte sich darüber, dass "Jackson, statt im Gefängnis zu verkümmern, wieder zu Hause in Neverland ist." Jackson, so fasste sie zusammen, war "ein trauriger, kranker Verlierer, der seinen Ruhm und sein Geld dazu benutzt, die Eltern jener Kinder, an denen er Gefallen findet, zu täuschen."

Nach der anfänglichen Empörung verschwand die Michael-Jackson-Story langsam aus den Schlagzeilen. Eine Analyse der "Nicht schuldig"-Urteile und der Gründe dafür gab es kaum. Ein Freispruch wurde als weniger einträglich angesehen als eine Verurteilung.

Tatsächlich sagte Thomas Mesereau Jahre später, dass, wenn Jackson verurteilt worden wäre, eine Art "Hinterhofindustrie" entstanden wäre, bei der die Medien noch Jahre danach eine tägliche Story hervorgebracht hätten. In einer schier endlosen Saga hätten Themen wie das Sorgerecht für Jacksons Kinder, die Kontrolle seines finanziellen Imperiums, andere "Opfer", die eine Zivilklage einreichen und die langwierigen Berufungsverfahren jeweils über Monate, Jahre, vielleicht sogar über Jahrzehnte, tausende Geschichten hervorgebracht.

Jacksons Gefängnisaufenthalt hätte die Medien mit immer neuen Gratis-Schlagzeilen versorgt: Wer besucht ihn? Wer nicht? Ist er in Einzelhaft? Wenn nicht, wer sind seine Zellengenossen? Was ist mit seinen Gefängniswärtern? Hat er im Gefängnis eine Brieffreundin? Dürfen wir mit einem Helikopter über den Gefängnishof fliegen und ihn beim Trainieren filmen? Es gab unzählig viele Möglichkeiten. Noch bevor die Jury mit den Beratungen begann, wütete ein Bieterkrieg darüber, wer die ersten durchgesickerten Fotos von Jackson in seiner Zelle bekommen würde.

Ein "Nicht schuldig"- Urteil war bei weitem nicht so lukrativ. In einem Interview mit Newsweek erinnert sich CNN- Boss Jonathan Klein, wie er die "Nicht schuldig"- Urteile eingehen sah und dann zu seinen Stellvertretern meinte, "Wir haben nun eine weniger interessante Story." Der 'Hollywood Reporter' merkte an, dass hastig zusammengestellte TV-Specials über Jacksons Freispruch schlecht liefen und ihre Einschaltquoten unter denen einer Wiederholung der Show Nanny 911 lagen.

Die Geschichte war vorbei. Es gab keine Entschuldigungen und keine Widerrufe. Es gab keine genauen Untersuchungen – keine Nachforschungen oder Ermittlungen. Niemand wurde zur Rechenschaft gezogen für das, was Michael Jackson angetan wurde. Die Medien begnügten sich damit, die Leute weiterhin ihre stark verzerrte und als grenzwertig zu bezeichnende, unwahre Schilderung des Prozesses glauben lassen zu können. Das war es.

 

Als Michael Jackson starb, überschlugen sich die Medien abermals. Welche Mittel töteten ihn? Wie lange hatte er sie schon eingenommen? Wer hatte sie verschrieben? Was war außerdem in seinem Körper zu finden? Wie viel wog er?

Aber es gab eine Frage, die – so schien es – niemand stellen wollte: Warum?

Warum war Michael Jackson derartig gestresst und von Angstzuständen geplagt, dass er nicht einmal vernünftig schlafen konnte, ohne dass ihm jemand eine Kanüle eines Narkosemittels in den Arm jagte? Ich denke, die Antwort ergibt sich aus den Ergebnissen der verschiedenen Meinungsumfragen, die nach Michael Jacksons Prozess durchgeführt wurden.

Eine Umfrage, die von Gallup in den Stunden nach dem Urteil durchgeführt wurde, zeigte, dass 54 % der weißen Amerikaner und 48 % der Gesamtbevölkerung mit dem "Nicht schuldig" der Jury nicht einverstanden waren. Aus der Umfrage ging weiter hervor, dass 62 % der Bevölkerung der Meinung waren, Jacksons Promistatus habe einen maßgeblichen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens gehabt.
34 % sagten, sie seien "traurig" und 24 % "schockiert" über das Urteil.
In einer Umfrage der Fox News sagten 37 % der Wähler, dass das Urteil „falsch“ sei, während weitere 25 % anmerkten, dass "sich Prominente Gerechtigkeit kaufen". Eine Umfrage von People Weekly ergab, dass unglaubliche 88 % der Leser dem Urteil der Jury nicht zustimmten.

Die Medien hatten beide, ihr Publikum und Jackson böse ausgetrickst. Nachdem Michael Jackson sich durch einen aufreibenden, grauenhaften Prozess gekämpft hatte, gespickt mit abscheulichen Anschuldigungen und Rufmord-Attacken, hätte er sich rehabilitiert fühlen sollen, als die Jury 14 einstimmige "nicht schuldig"- Urteile verkündete. Aber die unverantwortliche Berichterstattung der Medien über den Prozess machte es Jackson unmöglich, sich jemals richtig rehabilitiert zu fühlen. Das Rechtssystem mag ihn für unschuldig erklärt haben, aber das vorherrschende Bild, das die Öffentlichkeit nach wie vor von ihm hatte, sah anders aus. Anschuldigungen, die vor Gericht widerlegt wurden, gingen kritiklos durch die Presse. Fragwürdige Zeugenaussagen wurden als Tatsachen dargestellt. Die Argumente der Verteidigung wurden so gut wie völlig ignoriert.

Wenn die Jury auf diejenigen angesprochen wurde, die die Urteile anzweifelten, antwortete sie, "Sie haben nicht gesehen, was wir sahen."

Sie haben Recht. Das haben wir nicht. Aber das hätten wir tun sollen. Und jene, die uns entsprechende Informationen vorenthalten haben, behalten ihre Jobs, als wenn nichts gewesen wäre, - ungestraft und frei, genau das Gleiche irgendjemand Beliebigem anzutun.

Das nenne ich nun Ungerechtigkeit.